28.10.2010

Niemals vergessen. Antifaschistischer Rundgang und Lesung am 10.11.

Die Pogrome am 9./10.November 1938 gegen die jüdische Bevölkerung und ihre Einrichtungen waren weder spontan noch auf diese Tage beschränkt. Die antisemitischen Ausschreitungen und Arisierungen beschränkten sich auch nicht auf einzelne Bezirke, sondern betrafen die ganze Stadt und das ganze Land.

Während des Novemberpogroms 1938 wurden 27 jüdische Männer ermordet, es gab 88 Schwerverletzte, dutzende Selbstmorde, mehr als 6500 Festnahmen. 3.600 verhaftete Juden und Jüdinnen wurden direkt in das Konzentrationslager Dachau transportiert, 4000 Geschäfte wurden geplündert und zerstört und 2000 Wohnungen geraubt - im NS-Jargon- "arisiert".

Es gab auch noch Tage danach.

Während der 9. November mittlerweile auch in Wien als Gedenktag begangen wird, wird über die antisemitische Kontinuität, die die Zeit davor und danach prägte, kaum gesprochen. Wo am 9. November noch Synagogen und Bethäuser standen, waren in den Tagen darauf nur noch verkohlte Brandruinen. Wo es noch Geschäfte und Lokale gab, lagen nur noch Scherben - die Scherben nach denen die Nazis den Tag höhnisch "Reichskristallnacht" nannten und deren Beseitigung einen neuen Anlass für Demütigungen und Gewalt bot. Wie an der Zerstörung waren auch hier SA, SS, NachbarInnen und BürgerInnen beteiligt.

Wo am 9. November Angst herrschte, war in den Tagen danach nur noch Verzweiflung. Zehntausende Juden und Jüdinnen wussten nicht, was mit ihren FreundInnen, Verwandten und NachbarInnen geschehen war.

Wo am 9. November noch Verzweiflung war, da war in den Tagen danach nichts mehr - 27 Morde hatten SA und SS unter Beifallklatschen von NachbarInnen und BürgerInnen begangen. Und die Angst ließ dutzende den Freitod wählen.

Das war der November 1938 in Wien.

Der 9. November war ein Höhepunkt von Pogromen, die es in Österreich seit dem "Anschluss an das 3. Reich" tagtäglich gab, aber er war nicht das Ende. Es dauerte noch fast sieben Jahre, bis den Nazis Einhalt geboten wurde.

Mit einem Rundgang wollen wir aufzeigen, wie flächendeckend die antisemitischen Ausschreitungen und Arisierungen in Wien stattfanden. Wir werden Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischer Verfolgung im 15.Bezirk suchen und hoffen damit Bewusstsein für lokale Geschichte zu schaffen und die Arbeit von Initiativen vor Ort zu unterstützen.


Stationen des antifaschistischen Rundgangs:

Treffpunkt Längenfeldgasse:
Begrüßung, Enleitendes zu Novemberpogrom & Antisemitismus und der jüdischen Gemeinde im 15. Bezirk

Station Storchengasse:
Redebeitrag zu Storchenschul und Hashomer Hazair

Station Sechshauserstraße:
ZeitzeugInnenbericht

Station Fünfhausgasse:
Redebeitrag zu Gemeindebauten und Verhalten der Mehrheitsbevölkerung

Station Herklotzgasse:
Geschichte des Hauses und Vereine (vom Projekt Herklotzgasse21 gestaltet)

Station Turnergasse:
Redebeitrag zu Turnertempel, Denkmal und Audio-ZeitzeugInnenbericht

Station Westbahnhof:
Beitrag zu Deportationen von hier und kritische Würdigung des vorhandenen Gedenkens

Anmerkung: Wir bitten euch Gegenstände wie Transparente, Fahnen, Megaphone etc. zuhause zu lassen!


Nach dem Rundgang laden wir als weiteren Programmpunkt zur Lesung

Was aufgeschrieben ist, geht nicht verloren...!

Lesung ab etwa 20:30 im que[e]r, Wipplingerstraße 23, 1010 Wien

Viktor Matejkas (1901-1993) Bemühungen gegen das Vordringen des Nationalsozialismus brachten ihm sechs Jahre Konzentrationslager ein. In Dachau versuchte er, mit der Einführung und Erweiterung von Lagerbüchereien, mit dem Herstellen der legendären "Pickbücher", mit Kabarettaufführungen, das Leben der Häftlinge erträglicher zu gestalten.

Die jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942), begann bereits Ende der dreißiger Jahre Liebesgedichte zu verfassen und diese an ihren ein Jahr Freund Lejser Fichman zu schreiben. Selmas Freund hat diese Gedichte in zuverlässige Hände gegeben, bevor er später auf der Flucht nach Palästina starb. Aber auch das Leben der jungen Schriftstellerin währte nur kurz: Nach der Deportation ihre gesamten Familie in das Arbeitslager im ukrainischen Michailowska starb Selma Meerbaum-Eisinger am 16. Dezember 1942 - sie wurde 18 Jahre alt.


Weitere Gedenkveranstaltungen:

Gedenken zum 9.November 1938, Gedenken auf dem Platz der ehem. Synagoge, Ecke Eitelbergergasse/Neue-Welt-Gasse, VHS Hietzing, Di., 9.11.2010, 11:00-12:00

Niemals vergessen, nie wieder Faschismus. Mahnwache und Kundgebung beim Gedenkstein vor dem ehemaligen Aspangbahnhof, Platz der Deportierten, Di., 9.11.2010, 18:00

Spurensuche an einem vergessenen Ort. Ein Abend in der ehemaligen Synagoge Kaschlgasse. Kaschlgasse 4, 1200 Wien (Wiener Wiesenthal Institut f. Holocaust Studien) Di., 9.11.2010, ab 18.30

Initiative "Mariahilfer Synagoge", Gedenkfeier vor dem PensionistInnenwohnhaus Mariahilf, Loquaiplatz Nr. 5, 1060Wien, Mi., 10.11 .2010, 18.00 Uhr

Erzwungene Emigration. Jüd. Lebensgeschichten zw. Österreich und Argentinien, Depot, Breite Gasse 3, gedenkdienst.at. Mi., 10.11.2010, 19:00.