Neue Infos zum Pussy Riot Prozess
Die Ermittlungen gegen die vermeintlichen Pussy Riot Aktivist_innen, die seit März in Untersuchungshaft sitzen, sind offiziell abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat es nun doch noch geschafft, ein Rechtsgutachten erstellen zu lassen, welches tatsächlich einen Straftatbestand gefunden haben will. Die ersten beiden von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachten stellten dem widersprechend keinerlei rechtliche Grundlage für U-Haft und Prozess fest. Am 5. Juni luden zwei der Anwält_innen der betroffenen Aktivist_innen zur Pressekonferenz und berichteten über den Stand der Ermittlungen und erzählten viele interessante Details. Hier eine übersetzte Zusammenfassung, die wir dankenswerterweise von einer Twitter User_in zugesendet bekommen haben.
Ermittlung prüft noch Ausweitung der Anklage auf "Extremismus-Paragraph" (Artikel 282)
Das könnte eine Ausweitung vom Maximalstrafrahmen bedeuten und auch weitere Anzeigen gegen alle, die die Aktion in der Kathedrale dokumentierten.
Die Verteidigung will weitere unabhängige psychologisch-linguistische Gutachten in Auftrag geben.
Mit eigenen Gutachten - gemeinsam mit den ersten zwei Gutachten der Ermittlung - die ebenfalls keine Strafrechtlich relevanten Elemente nachweisen konnten, und dem heute zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit vorgestelltem Video mit ungeschnittenen Rohaufnahmen der Aktion in der Christi-Erlöser-Kathedrale wollen sie die Unrechmässigkeit der strafrechtlichen Verfolgung der Angeklagten nachweisen.
Außerdem würde sich die Anklage zur Gänze auf das Youtube-Video der Aktion stützen. Die Gutachter_innen wurden sogar angewiesen, die User_innen-Kommentare auf Youtube und im Blog der Gruppe mitzuprüfen. Es ist der Ermittlung jedoch nicht möglich gewesen, den Angeklagten die Produktion oder die Veröffentlichung des Videos nachzuweisen.
Es wird vermutlich noch längere Zeit in Anspruch nehmen, die Materialien auszuwerten und das Gutachten zu vorbereiten.
Laut den Anwält_innen haben die Angeklagten vor, bei der Hauptverhandlung auszusagen. Bisher nahmen sie ihr Recht in Anspruch, jede Aussage zu verweigern.
Es ist mit einer weiteren Haftprüfung zwischen 16.06. und 24.06. zu rechnen.
Chancen auf Freikommen auf Kaution noch vor der Hauptverhandlung haben die Anwält_innen als niedrig eingeschätzt.
Screener vom Rohmaterial (twitvid) aus der Kathedrale
Die ersten zwei Gutachten sind von mehreren unterschiedlichen Spezialist_innen erstellt worden. Das Dritte wurde von einer einzigen Person, einem Mitarbeiter vom "Institut für psychologisch-pädagogische Probleme bei Kindern" (!) verfasst.
Die ersten zwei Gutachten fanden nur strafrechtlich irrelevantes – etwa "Anzeichen von Beleidigung". Aber keinen Hinweis auf "religiös motivierten Hass" oder einen Vorsatz bzw. Motiv, also keinen Tatbestand nach Art.213.
Die Anklage operiert auf "politische Bestellung", was angesichts der Hetze in staatlichen Medien und Ereignissen wie die "Anti-Pussy-Riot Kundgebung" in Krasnodar offensichtlich ist.
Aktion in der Kathedrale dauerte keine Minute, das Lied wurde dabei gar nicht abgespielt.
Die von der Anklage als Geschädigte geführten Securities und einzelne in der Kathedrale während der "Tat" Anwesende sollen bei der Aktion "schwer moralisch gelitten" haben.
Einer der "Geschädigten" ist Mitglied einer nationalistischen Organisation, und hat sich bereits an anderen Klagen gegen kirchenkritische Künstler_innen beteiligt.
Weitere "Geschädigte" - die Securities - halfen den Aktivist_innen noch, ihre Sachen aus der Kirche rauszutragen, versuchten aber nicht sie anzuhalten oder der Polizei zu übergeben. (das ist auf Video dokumentiert)
Auf dem Roh-Video ist zu sehen, dass eine der Angeklagten, es nicht einmal zum Altar der Kirche geschafft hat, ein Security hinderte sie schon vorher daran.
Am Anfang der Ermittlungen war offenbar geplant, ca. 10 Menschen zu verhaften, inklusive der 3-4 Journalist_innen, die die Aktion dokumentierten.
Leiter der Ermittlungen, wörtlich auf die Frage der Anwält_innen, warum das ungeschnittene Video nicht zu den Akten genommen worden ist: "Na, wir waren halt einfach zu faul".
Die Entscheidung der Ermittlungsbehörden, 3 Frauen verhaften zu lassen und anzuklagen und 2 andere nicht, ist vollkommen willkürlich und nicht nachvollziehbar. Laut den Anwält_innen gab der Ermittlungsleiter in einem Gespräch offen zu, dass es so "von oben" angeordnet wurde, um den Fall nicht "noch mehr aufzublasen".
Mit dem offiziellen Ende der Ermittlungen wird auch ein neuer Ermittlungsleiter bestellt. Der "alte" hat eine Beförderung bekommen.
Die Haftbedingungen sind sehr hart. Duschen öfters als 1x pro Woche ist nur gegen Extra-Bezahlung möglich.
Einem Ehepartner wurden Treffen mit seiner Ehepartnerin untersagt. "Begründung": Der "unpassende" Ton bei der Erwähnung der "Obrigkeiten" in Interviews, die er gegeben hat.
Ermittlung hat Videomaterial vom beschlagnahmten Computer einer Betroffenen zu den Akten gegeben, die in keinem Zusammenhang mit Pussy-Riot-Aktionen stehen.
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