04/2011

Eine Replik oder was es heißt, im Kampf gegen Rassismus nicht locker zu lassen

Im folgenden findet ihr eine Auseinander- setzung rund um den Gebrauch des Wortes Rassismus im Kampf gegen rassistische Gesetze.

Am 31. März 2011 veröffentlichte no-racism.net den Artikel 'Rassismus? Ein paar Gedanken zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011', der sich kritisch mit den Protesten gegen die rassistische Gesetzgebung in Österreich auseinandersetzt. Thematisiert werden in diesem Artikel vor allem die zentrale Rolle der SPÖ im Zusammenhang mit den Verschärfungen des Fremden- und Asylrechts, aber auch die Aufrufe zu Protesten gegen das aktuelle "Fremden-Unrechtspaket", das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011.

Den Artikel hat no-racism.net von at.indymedia.org übernommen. Mittlerweile erschien dort eine vom SOS Mitmensch Sprecher Alexander Pollak verfasste "Replik auf die Kritik, dass in Aufrufen gegen die geplante Fremdengesetzesnovelle Rassismus nicht kritisiert wird". no-racism.net wurde ersucht, diese Antwort ebenfalls zu veröffentlichen.

Wir wollen dies jedoch nicht tun, ohne festzuhalten, dass wir die darin wiedergegebenen Argumente für falsch bzw. zu wenig umfassend halten. Dazu ist anzumerken, dass die Replik lediglich zwei Punkte der Kritik heraus greift:

1. "Über den Nutzen des Wortes Rassismus im Kampf gegen Unrechtsgesetze" wird argumentiert, dass die Aufrufe zur Demonstration gegen das FremdenUnrechtsgesetz ein Ziel haben: "Es geht um die Verhinderung eines konkreten Gesetzesvorhabens." Das "starke Wort" Rassismus würde zu diesem Zeitpunkt fehl am Platz sein, "weil den meisten Menschen in Österreich das Verständnis dafür fehlt, was die Asyl- und Fremdenrechtsdebatte mit Rassismus zu tun hat." Und deshalb müsse auf den richtigen Zeitpunkt gewartet werden, "nämlich vor und zwischen Mobilisierungen".

Über den richtigen Zeitpunkt kann durchaus diskutiert werden, allerdings stellt sich die Frage, wenn jetzt so massiv informiert und mobilisiert wird, warum nicht gleich auch versucht wird, den "verständnislosen Menschen" zu erklären, "was die Asyl- und Fremdenrechtsdebatte mit Rassismus zu tun hat".

Unserer Meinung nach liefert die Argumentation in der Replik genügend Gründe, warum es wichtig ist, Rassismus gerade jetzt zu benennen und die Debatte darüber nicht aufzuschieben oder gar untergehen zu lassen.


2. "Nicht locker lassen" - davon handelt der zweite Teil der Replik, der sich um eine Formulierung von SOS Mitmensch dreht. Die Frage, ob es zu utopisch sei, die Abschaffung aller rassistischen Gesetze zu fordern, wird dabei nicht thematisiert. Und damit wird auch auf die Antwort nicht eingegangen, die im Anschluss an diese Frage formuliert wurde:

"Wir müssen die Utopien einer grenzenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung immer wieder aufs Neue formulieren. Erst wenn wir selbst davon überzeugt sind, dass eine Welt ohne Rassismus möglich ist, kann diese Utopie Realität werden!"


3. Auf den eigentlichen Inhalt des Artikels wird nicht eingegangen. Denn der Artikel thematisiert nicht nur die Ausblendung von Rassismus, sondern auch den gesellschaftlichen Kontext, in dem derartige Gesetze beschlossen werden: Angesprochen werden der zunehmende Faschismus und die damit einhergehende Unzufriedenheit, aber auch, dass bei Bekanntwerden von neuen Gesetzen die Emotionen sehr hochgeschaukelt sind, bald aber Resignation einkehrt.

"Irgendwie schafft es die Mehrheit immer, wenn sie nicht ohnehin voll dahinter steht, sich damit abzufinden. Ab und zu mal Emotionen zeigen, ab und zu mal etwas Druck ablassen. Und dann wieder zum Alltag zurück kehren, so als sei das alles nicht passiert."

Dieser Absatz sagt uns zweierlei: einerseits weist er darauf hin, dass viele Menschen hinter den rassistischen Gesetzen stehen und diese auch mittragen, andererseits dient der Widerstand oft dazu, um die Empörung raus zu lassen, und sich damit abzufinden. "Zum Alltag zurück kehren" bedeutet nichts anderes als sich damit abzufinden.


4. Trotz aller Kritik an der Replik veröffentlichen wir diese im folgenden - auch deshalb weil sie aufzeigt, dass der Artikel "Rassismus? Ein paar Gedanken zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011" wunde Punkte getroffen hat, die antirassistische Organisationen in ihrem Kampf gegen "Unrechtsgesetze" zur Rechtfertigung zwingen.

 

 

Über den Nutzen des Wortes Rassismus im Kampf gegen Unrechtsgesetze

Eine Replik auf die Kritik, dass in Aufrufen gegen die geplante Fremdengesetzesnovelle Rassismus nicht kritisiert wird. Von Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.

Die schwachen Seiten eines starken Wortes

Die Autorin des kritischen Artikels hat Recht, wir haben das Wort "Rassismus" in den Aufrufen zum Widerstand gegen das Fremden-Unrechtspaket bewusst nicht verwendet. Warum? Nicht weil wir es für grundsätzlich falsch halte, den Rassismusbegriff in Kommunikation mit der Fremdenrechtsdebatte zu bringen. Der Grund ist ein anderer: Wir befinden uns in einer Phase, in der rasche Mobilisierung von Menschen geleistet werden muss. Es geht um die Verhinderung eines konkreten Gesetzesvorhabens. In so einer Mobilisierungsphase haben starke Worte wie Rassismus eine große Schwäche: sie drohen mit aller Wucht ins Leere zu schlagen, weil den meisten Menschen in Österreich das Verständnis dafür fehlt, was die Asyl- und Fremdenrechtsdebatte mit Rassismus zu tun hat. An diesem Verständnis müssen wir arbeiten, aber zum richtigen Zeitpunkt - nämlich vor und zwischen Mobilisierungen. Während Mobilisierungen geht es einzig und allein darum, möglichst viele Menschen abzuholen, die bereits verstehen - und weil viele den Rassismusbegriff eben nicht so verstehen wie die Autorin und auch wir es möchten, müssen wir beim Abholen der Menschen mit anderen Begriffen arbeiten. Wir müssen Punkt für Punkt beschreiben, welche Konsequenzen Unrechtsgesetze haben und welche Prinzipien durch sie angegriffen und verletzt werden, etwa das Prinzip Gleichberechtigung. Ansonsten erreichen wir nur die, die für sich bereits geklärt haben, dass wir in einer auch von institutionellem Rassismus geprägten Welt leben. Das genügt uns nicht. Wir wollen auch diejenigen aus der Ruhelage bringen, die noch über kein Verständnis von Rassismus verfügen, das über rassistisch motivierte Übergriffe und die direkte Diskriminierung vom Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Namens oder ihrer Kleidung hinausgeht.

Was es heißt, nicht locker zu lassen

Auch auf einen zweiten Kritikpunkt möchte ich eingehen. Die Autorin schreibt: "Wenn Organisationen ankündigen, dass sie 'bis zum letztmöglichen Tag an dem dieses Unrechtsgesetz verhindert werden kann nicht locker lassen', dann deutet dies einmal mehr darauf hin, dass sie sich früher oder später damit abfinden werden. Warum sagen sie nicht, dass sie nicht locker lassen, bis alle rassistischen Gesetze abgeschafft sind? Weil das zu utopisch klingt?" Ich kann hier nicht für alle Organisationen sprechen, sondern nur für SOS Mitmensch: Wenn wir sagen, dass wir bis zum letztmöglichen Tag an dem ein Unrechtsgesetz verhindert werden kann nicht locker lassen, dann deutet dies auf zwei Dinge hin: erstens, dass jetzt ein Zeitfenster vorhanden ist, in dem eine Chance besteht, etwas zu bewegen; und zweitens, dass wir mobilisieren und mitreißen wollen. Sollte das Unrechtsgesetz dennoch beschlossen werden, dann ist das keineswegs das Ende unseres Kampfes. Dann beginnt ein neuer Kampf, ein anderer Kampf, der nicht nach rascher Mobilisierung, sondern nach viel Ausdauer verlangt. Für uns gehören beide Arten von Kämpfen zur täglichen Herausforderung.

Daher: Wir werden bis zum letztmöglichen Tag an dem dieses Unrechtsgesetz verhindert werden kann nicht locker lassen - und falls das Unrechtsgesetz beschlossen wird, woran wir jetzt schlicht und einfach nicht denken wollen, weil wir versuchen, all unsere Kräfte zu kanalisieren, dann werden wir natürlich auch weiterhin nicht locker lassen und weiter kämpfen, weiter kämpfen und weiter kämpfen. Und außerhalb von kurzfristigen Mobilisierungsphasen beteiligen wir uns auch sehr gerne an einer längerfristig ausgerichteten Bewusstseinsarbeit, die das Verständnis von Begriffen wie Rassismus erweitert und für mehr Menschen greifbar macht.

 

Dieser Text ist Teil des Readers "another brick in the racist wall...", der im Zuge der Proteste gegen die Fremdenrechtsnovelle 2011 von einigen Antirassist_innen produziert wurde.