Dublin II - setzt du deinen Fuß auf diesen Boden ...
Die EU verspricht ihren Bürger_innen vier "Grund- freiheiten": freier Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften im Gebiet der Gemeinschaft. Dies bedeutet u.a., dass sich Menschen im EU-Raum frei bewegen können. Doch gibt es zahlreiche Mechanismen, die diese Freiheiten beschneiden und einzelne Menschen oder Gruppen davon ausschließen, eines davon ist das Dublin-II-Abkommen.
Menschen, die in die EU flüchten, wird kein angenehmer Empfang bereitet. Am Beginn des Asylverfahrens geht es nicht um ihre Situation und ihre Probleme. Es geht nicht um die Frage, warum sie geflohen sind. Die EU-Staaten(*) haben sich was besonderes ausgedacht: Um Menschen abzuweisen, erklären sie Anträge auf Zulassung zum Asylverfahren als "offensichtlich unbegründet" und sich selbst als "nicht zuständig".
Menschen, die in einem der EU-Staaten um Asyl ansuchen, müssen sich zuerst einem Zulassungsverfahren unterziehen, in dem geprüft wird, ob der jeweilige Staat "zuständig" ist. Dies ist nach Dubliner Übereinkommen nur dann der Fall, wenn die beantragende Person sich zuvor in keinem anderen EU- bzw. in einem "sicheren" Drittstaat wie z.B. der Schweiz aufgehalten hat. War dies der Fall, gehen die Behörden automatisch davon aus, dass die Person bereits "sicher" war und der Antrag wird als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Fluchtgründe treten in den Hintergrund. In Österreich wird die Zulassung zum Asylverfahren in der Regel in einer der drei Erstaufnahmestellen (EAST) geprüft. Erst wenn diese Frage geklärt und der Asylantrag zugelassen ist, folgt die inhaltliche Prüfung.
Als Werkzeug dient den Behörden das EURODAC System. Dort werden die Fingerabdrücke von allen Asylwerber_innen und "illegalen Grenzgänger_innen" registriert. Im Zusammenspiel mit dem Dubliner Übereinkommen sorgt EURODAC dafür, dass Asylwerber_innen in das EU-Land abgeschoben werden, über das sie in die EU eingereist sind.
Die Behörden haben die Möglichkeit, Abschiebungen zu unterlassen!
Gesetzliche Grundlage für die Asylpolitik der Nicht-Zuständigkeit von EU-Staaten ist das Dubliner Übereinkommen. Es schreibt Flüchtlingen vor, in jenem Staat einen Asylantrag zu stellen, in dem sie nach Ansicht der Behörden zum ersten mal sicher sind. Den Bestimmungen zufolge gelten alle EU- und Schengen-Staaten als Teil des Dubliner Abkommens als "sicher". Der Ausschluss aus der Gesellschaft, die Verweigerung von Rechten, permanente Übergriffe durch Polizei und Rassist_innen zeugen davon, dass selbst innerhalb der EU von "Sicherheit" für Menschen, die über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird, keine Rede ist.
Ein Dublin-Staat kann von einem anderen gezwungen werden, Flüchtlinge "zurückzunehmen", wenn diese dort erstmals registriert wurden. Jeder Staat hat aber auch ein "Selbsteintrittsrecht" und kann aus humanitären Gründen das Asylverfahren durchführen. Viel zu selten findet diese Möglichkeit Anwendung. Viel öfter ordnen die zuständigen Schreibtischtäter_innen die Abschiebung an.
Dubiose Altersfeststellungen
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) erhalten aufgrund der Bestimmungen von Dublin II besonderen Schutz. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist bei UMF jenes Land für die Behandlung des Asylantrags zuständig, in dem sie den ersten Asylantrag einbringen. Um möglichst selten Verantwortung Übernehmen zu müssen, wird das von den Asylwerber_innen angegebene Alter von den Behörden angezweifelt. Mittlerweile werden fast alle UMF zur sogenannten "multifaktoriellen Altersbegutachtung" geschickt. Die dabei zur Anwendung gebrachten Untersuchungsmethoden liefern keine Grundlage zur klaren Altersbestimmung und sind zudem aufgrund der radioaktiven Strahlenbelastung gesundheitsgefährdend.
Regelmäßig wird anhand der Interpretation des Handwurzelröntgen festgestellt, dass ein Mindestalter von 19 Jahren erreicht ist. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen weisen aber darauf hin, dass die Entwicklung der Handwurzel bei Jungen bereits mit 17 Jahren, bei Mädchen sogar noch früher abgeschlossen sein kann.
Seit Herbst 2010 werden Jugendliche zusätzlich zu einer CT-Untersuchung geschickt. Bei einer CT-Untersuchung wird die_der Untersuchte einer vielfachen Strahlendosis eines Handwurzelröntgens ausgesetzt, was gerade bei jungen Menschen zu einer Erhöhung des Krebsrisikos beiträgt.
Reisefreiheit durch den Schengenbeitritt - warum nicht auch für Flüchtlinge?
Die Ende Dezember 2007 erfolgte Schengenerweiterung brachte für viele Menschen in der EU nicht nur eine Erleichterung bei Reisen mit sich, sondern eine vermehrte Kontrolle aller Menschen im Landesinneren. Obwohl die Grenzkontrollen abgeschafft wurden und die EU den Bürger_innen Reisefreiheit innerhalb des EU-Raumes verspricht, gilt diese "Grundfreiheit" nicht für alle Menschen im EU-Raum. Jenen, die weder über einen EU-Pass noch über ein Schengenvisum verfügen, wird dieses Privileg nicht gewährt. Werden sie kontrolliert, droht ihnen die Ausweisung. Immer wieder finden solche Kontrollen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten im Landesinneren statt, teilweise durch Beamte in zivil. Wird eine_r Zeug_in so einer rassistischen Kontrolle, gilt es, solidarisch mit den Betroffenen bei den Kontrollen einzugreifen!
Keine Abschiebung nach Polen!
Mit dem Wegfall er Grenzkontrollen zwischen Polen und den angrenzenden EU-Staaten ergriffen viele Flüchtlinge u.a. aus Tschetschenien, die sich in Polen aufhielten, die Möglichkeit und reisten in andere EU-Staaten weiter. Denn in Polen sind insbesondere Flüchtlinge aus Tschetschenien, deren Chance als Flüchtlinge anerkannt zu werden bei 3 Prozent liegt, nicht in Sicherheit. Es gibt so gut wie keine medizinischen Hilfsangebote für die oft schwer traumatisierten Kriegsflüchtlinge und auch sonst kaum Unterstützung. Dazu kommt, dass sich tschetschenische Geheimdienste in den Lagern in Polen herumtreiben und die Flüchtlinge erpressen - immer wieder handelt es sich dabei um deren frühere Peiniger_innen.
Aus Österreich wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Flüchtlinge, meist mit Bussen, nach Polen abgeschoben. Die Behörden wissen über die Situation von tschetschenischen Flüchtlingen in Polen bescheid. Dennoch beurteilen sie Polen als "sicher" genug, um Menschen gegen ihren Willen dorthin "rückzuführen".
Keine Abschiebungen nach Griechenland!
Ein erster Schritt Richtung Ende der Dublin II-Abschiebungen ist ein Abschiebestopp nach Griechenland. In Griechenland ist das Asylsystem seit Jahren völlig kollabiert. Nicht einmal der Zugang zum Asylverfahren ist sicher gestellt. Schutzsuchenden drohen Inhaftierung und Abschiebung, ohne dass ihr Anliegen gehört wurde, die Chancen auf Anerkennung sind gleich Null. Flüchtlinge und papierlose Migrant_innen leben oft in vollkommener Rechtlosigkeit. Übergriffe durch Faschist_innen und Polizist_innen, die Gefahr der willkürlichen Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger prägen ihre Lebenssituation.
Dieser Umstand hat in den letzten Jahren und Monaten viele Gerichte in Europa dazu veranlasst, Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen. In Österreich wurde Ende Oktober 2010 zum ersten mal ein Abschiebebescheid nach Griechenland vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als verfassungswidrig erklärt. Im November forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Behörden in Österreich auf, vorläufig keine Flüchtlinge nach Griechenland abzuschieben und stattdessen die Verfahren selbst durchzuführen. Doch das Innenministerium hält weiterhin an der bisherigen Praxis fest. Es ist an der Zeit, dass alle Abschiebungen nach Griechenland gestoppt werden
Keine Abschiebungen nach Ungarn!
Auch in Ungarn wird Menschen der Zugang zum Asylverfahren systematisch verwehrt. Ohne nach den Gründen für ihre Flucht gefragt worden zu sein, werden Schutzsuchende oft innerhalb von wenigen Stunden abgeschoben. Dorthin, wo sie sich zuletzt aufgehalten haben, oder von wo vermutet wird, dass sie sich zuletzt aufgehalten haben: in vielen Fällen ist das die Ukraine. In der Ukraine wird oft monatelang kein einziges Asylverfahren durchgeführt. 2009/2010 wurde ein Jahr lang kein einziger Asylantrag bearbeitet. Viele Flüchtlinge berichten von Misshandlungen durch die ukrainische Polizei und monatelangen Inhaftierungen unter schrecklichen Bedingungen und ohne Angabe von Gründen. Für viele papierlose Migrant_innen ist Ungarn lediglich eine Zwischenstation auf ihrem Weg in einen anderen EU-Staat. Erreichen sie ihr Zielland, werden sie regelmäßig aufgrund der Dublin II Verordnung nach Ungarn "zurückgeschoben". Dort erwartet sie meistens entweder die Inhaftierung oder eine sofortige weitere Abschiebung. Diese Praxis der Kettenabschiebungen verstößt gegen das Refoulement-Verbot, welches Menschen vor der "Rückschiebung" in ein Land wie die Ukraine, in dem sie offensichtlich nicht sicher sind, schützen soll.
Kettenabschiebungen aus Österreich über Ungarn sind gängige Praxis. Kettenabschiebungen gefährden das Leben von Menschen.
Keine Abschiebungen nach Italien!
Aufgrund der geographischen Lage zählt Italien zu einem der Haupteintrittsländer für Migrant_innen die von Nordafrika aus versuchen über den Seeweg Europa zu erreichen. Während das Land noch vor einigen Jahren Legalisierungskampagnen von Papierlosen durchführte, ist das lokale Asylsystem mittlerweile völlig kollabiert. An Orten wie Lampedusa werden Flüchtlinge in Lagern festgehalten, deren räumliche Kapazitäten um ein vielfaches überschritten werden. Die anhaltenden Kämpfe und Umbrüche in Tunesien und Libyen und die damit einhergehende hohe Anzahl an Flüchtlingen sind eine weitere Entwicklung, mit der die italienischen Behörden offensichtlich nicht umgehen können. Nachdem sich mit der restriktiven Inhaftierungspraxis nicht mehr geholfen werden kann, wird gegenüber der Rest-EU mit Weiterreisezertifikaten "gedroht". Die Behörden haben aber auch schon mit Massenabschiebungen nach Tunesien begonnen. Gleichzeitig stellt der gesteigerte Einsatz der EU-Privatarmee Frontex an den Küstengrenzen ein weiteres lebensgefährliches Risiko für ankommende Flüchtlingsboote dar. Zentraleuropäische Staaten wie Österreich und Deutschland haben bereits mit der stärkeren Überwachung ihrer Grenzen begonnen um jenen die Einreise zu verweigern, denen trotz der widrigen Umstände die Weiterreise gelingt. Die Situation vor Ort ist untragbar, Rückschiebungen nach Italien müssen gestoppt werden!
Weg mit dem Dublin II System
Gleichzeitig muss das Dublin II System abgeschafft werden, denn es wird immer deutlicher, dass diese Regelung vor allem dazu dient, Flüchtlingen zu verunmöglichen, dort um Asyl anzusuchen, wo sie wollen. Viele Flüchtlinge haben Verwandte oder Freund_innen in der EU, sprechen die Sprache(n) einzelner EU-Staaten, sehen in diesem oder jenem Land die besten individuellen Perspektiven. All dies wird von den rassistischen Behörden ignoriert. Ihr Ziel scheint zu sein, das Leben für Migrant_innen und Flüchtlinge möglichst schwierig zu machen, um sie "abzuschrecken".
Menschen sterben am Weg nach Europa. Die EU hat ihr rassistisches System von Internierung und Abschiebung längst in die sie umgebenden Länder exportiert. Menschen werden von einem Land ins nächste abgeschoben. Immer mehr Geld wird dafür ausgegeben, Menschen das Leben so unerträglich wie nur möglich zu machen.
Das Dublin II-Abkommen und das Eurodac-System sind Instrumente einer Politik der Ausgrenzung und gehören als solche abgeschafft!
Keine Abschiebung nach Griechenland!
Keine Abschiebung nach Polen!
Keine Abschiebung nach Ungarn!
Keine Abschiebung nach Italien!
Keine Abschiebung nach Österreich!
Gar keine Abschiebung!
Abschiebungen bedeuten die totale Entrechtung von Menschen. Abschiebungen sind rassistisch. Abschiebungen stehen auf der Tagesordnung. Sowohl innerhalb der EU als auch in sogenannte Herkunfts- und Transitstaaten. Schluss damit!
Anmerkung:
* Abgesehen von den EU-Mitgliedsstaaten sind auch Island, Norwegen und die Schweiz Teil des Dublin II Abkommens.
Dieser Text ist Teil des Readers "another brick in the racist wall...", der im Zuge der Proteste gegen die Fremdenrechtsnovelle 2011 von einigen Antirassist_innen produziert wurde.