23.10.2002

Die Nation feiert sich selbst

6. Oktober. Nationalfeiertag. Panzer. Gulaschkanonen. Kinder, die Soldat werden wollen. Omis und Opis, die sich wider besseren Wissens darüber auch noch freuen. Jedes Jahr dasselbe. Aber warum eigentlich gerade an einem 26. Oktober? Auch wenn offiziell bereits seit 1956 an diesem Tag die immerwährende" Neutralität gefeiert werden soll, so wird noch bis heute meist etwas anderem gedacht: Dass der 26. Oktober 1955 der erste Tag war, an dem sich kein alliierter Soldat - in den Geschichtsbüchern bezeichnenderweise Besatzungssoldat" genannt - mehr auf österreichischem Boden befand, und genau da haben wir schon das Problem.

Nachdem also Österreich von der Besatzung" befreit war, das Wirtschaftswunder seinen Anfang nahm (mit den Geldern des Marshallplanes finanziert), der kalte Krieg schon längst die Welt in Machtsphären geteilt hat, war es leicht, zu vergessen, was zehn Jahre zuvor sein Ende gefunden hat - das Naziregime. Zertrümmert von den alliierten Armeen. Und durch nichts anderes. Das, was im nachhinein so gerne als Besatzung bezeichnet wird, war schlicht die Befreiung von der Naziherrschaft. Österreich hat sich nämlich nicht selbst befreit. Der Verweis auf die WiderstandskämpferInnen zieht nicht, weil sie das Geschehen nicht beeinflussen konnten. Sie waren zuwenige. Zuwenig gegen die überwältigende Mehrheit der MitläuferInnen und TäterInnen.

Geschichtsverdrehung

In anderen Ländern ist der 8. Mai (an diesem Tag im Jahre 1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos) der Tag der Befreiung, nicht so in Österreich - da wollte man/frau nur die Befreier wieder loswerden. Bezeichnend in diesem Zusammenhang, dass in den Jahren 1946-54 jeweils am 13. April - dem Tag der Befreiung Wiens - sehr wohl gefeiert wurde, dies allerdings bereitwilligst gegen den jetzigen Nationalfeiertag und damit eine ganz andere Symbolik getauscht wurde.

In Österreich war es eine Befreiung für jene, die die Konzentrationslager sonst nicht überlebt hätten, für die, die sich bis zum letzten Kriegstag verstecken mussten, und allenfalls noch für diejenigen, die längst schon die Schnauze voll hatten. Dass es die vielen TäterInnen nicht als Befreiung empfanden, liegt auf der Hand. Zumindest damals hatten sie allen Grund, sich vor ihrer Verantwortung zu fürchten.

Dass es dann in den meisten Fällen doch nicht so weit kam, liegt daran, dass sich ALLE Parteien um die ehemaligen Nazis rissen. Schließlich galt es die Stimmen von 700.000 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zu gewinnen.

Erstes Opfer?

Als Wolfgang Schüssel, noch dazu in der Jerusalem Post und rechtzeitig zum 9. November - dem Jahrestag der Reichspogromnacht - Österreich als erstes Opfer der nationalsozialistischen Aggression bezeichnete, hat er damit auch gezielt wieder einen sowieso in weiten Teilen verbreiteten Entschuldigungsmythos belebt, und so die Fortschritte, die in dieser Frage erst wenige Jahre zuvor durch seine Vorgänger gemacht wurden, wieder umgekehrt. Geflissentlich hat er dabei vergessen", dass über 90% der ÖsterreicherInnen 1938 für den Anschluss stimmten, Hitler am Heldenplatz einen umjubelten Empfang boten, und beim Novemberpogrom 1938 die Deutschen noch ziemlich alt aussehen ließen. In Wehrmacht und SS war ein überproportionaler Anteil Österreicher an den Verbrechen beteiligt.

Erstes Opfer also. Verhängnisvollerweise haben dies bei Kriegsende auch die Alliierten so gesehen, allerdings hatten sie dabei eine andere Motivation: Die Hoffnung, dass Österreich als eigenständiger Staat eine Schwächung Deutschlands bedeuten würde. Und was so gerne vergessen wird: Sie haben klar festgestellt, das Österreich die Mitverantwortung am Kriege zu tragen habe; eben gerade wegen der starken Beteiligung so vieler ÖsterreicherInnen.

Österreichnationalismus

Nach dem 2. Weltkrieg wurde dann versucht, so was wie einen Österreichnationalismus zu entwickeln - irgendwann hat das ja dann auch geklappt. Alles andere hat sich allerdings nicht verändert. Kleinhäuslertum, Wadlbeisserei, Selbstmitleid, Denunziantentum, Rassismus, Antisemitismus und Autoritätshörigkeit haben nicht aufgehört zu existieren.

Wer all die Mythen und die Verlogenheit in Zweifel zieht, gilt den ÖsterreicherInnen als Nestbeschmutzer, als Vernaderer. Der Höhepunkt in dieser Hinsicht war zweifelsohne das wehleidige Geheul um die sogenannten EU-Sanktionen. Da sahen sich plötzlich Unmengen an Leuten im patriotischen Rausch dazu veranlasst, sich hinter eine Regierung stellen zu müssen, die sie zuvor noch entschieden abgelehnt haben. Man/frau stelle sich vor: Da wird den Freiheitlichen der Handschlag verweigert, und ein ganzes Land ist beleidigt, einfach absurd. Die Opposition durfte sich zum Dank" für diesen Schulterschluss im kleinen ewig verfolgten Land den Vorwurf des Landesverrats gefallen lassen. Doch wenn Alfred Gusenbauer mit französischen Parteifreunden guten Champagner trinkt, dann ist das seine Sache und nicht Hochverrat. Obwohl ein Land, das so eine Regierung zulässt, eigentlich wirklich verraten gehört.

Aber so ist das eben. Die Regierung kann jede nur erdenkliche Belastung beschliessen, und im Endeffekt stehen doch alle hinter ihr. Weil alles andere wäre ja schließlich der verpönte Verrat.

Und so zeigt sich einmal mehr: Nationalismus ist was für bösartige Dummköpfe, die sich alles gefallen lassen.

In diesem Sinne:

Champagner für alle!
Österreich gehört verraten!

{rosa antifa wien}