17.02.2004

Jede ist ihres eigenen Glückes Schmiedin?!

Bündnisaufruf zur Obdachlosenaktion am 19.02.2004

Obdachlosenaktion am 19.02.2004 ab 14:00 Uhr
Ort: Mariahilferstraße beim Generali-Center, 1070 Wien

Wir leben in einer Welt voller Gegensätze, die immer und überall zu Tage treten: neben den einkaufswütigen Massen auf den Shoppingmeilen der Stadt Menschen, die in den kalten Monaten regelrecht ums Überleben kämpfen - hier der unfassbare Reichtum in allen erdenklichen Formen und Farben, dort Elend und Armut. Viele schauen weg, ist doch der Anblick einer frierenden, in Fetzen gehüllten Person nicht sonderlich förderlich für die Kauflust. Oder ganz allgemein: in diesem System soll Glückseeligkeit und eitle Wonne herrschen - Menschen, die nicht glücklich und zufrieden sind, bringen Unruhe und widersprechen dem Prinzip der heilen Welt des Kapitalismus.

Vielleicht sind sie auch bloß selbst schuld an ihrer Situation? Ist nicht jeder Mensch ihres/seines eigenen Glückes SchmiedIn? Ist nicht jedEr verantwortlich für das, was sie/er tut oder eben unterlässt, machen wir uns unser Leben nicht selbst?

Doch Armut fällt nicht vom Himmel oder trifft einen, weil mensch zuviel vom falschen Getränk trinkt, 'mit dem Leben nicht zurecht kommt' oder die falschen FreundInnen hat - Armut und alles was damit zusammenhängt, also Obdachlosigkeit, Ausgrenzung und Isolation sind ein Produkt des Systems, in dem wir leben. Denn längst gibt es hungernde Menschen nicht nur weit weg von uns, in den sogenannten '3. Welt-Ländern' Afrikas oder Asiens. Plötzlich sitzen sie wieder in den Städten des 'Westens', aus denen doch Armut und Obdachlosigkeit im Zuge des steigenden Wirtschaftswachstums der 60er Jahre fast vertrieben worden sind.

Unsere Wohlstandsgesellschaft ist nur oberflächlich eine solche, immer öfter brechen die Auswüchse der freien Marktwirtschaft, unserer 'heilen Welt', hervor. Armut ist seit langem auch bei uns sichtbar geworden; doch bei 'heruntergekommenen SandlerInnen’ oder den schnorrenden Punks, die nur zu gern aus der glitzernden Innenstadt verwiesen werden, da sie so gar nicht zu der heilen Konsumwelt passen, hört diese bei weitem nicht auf. Viele Menschen vegetieren am Existenzminimum vor sich hin und betroffen sind nicht nur Stereotypen: der unausgebildete Hilfsarbeiter oder die alleinerziehende Mutter. Das System, der Kapitalismus, fordert seine Opfer. Quer durch alle Alters- und Einkommensschichten trifft er sie. Wenn mensch von Beginn an nicht tüchtig oder angepasst genug ist, vielleicht nicht ganz so dynamisch und jung wie es der Firmenleitsatz fordert oder wenn mensch nicht fest genug die Ellenbogen benutzt, um vorwärts zu kommen: das Markenzeichen der freien Marktwirtschaft, die uns neben tausend Jeansmarken und noch mehr Zahnpasta-Sorten auch allerlei absoluten Blödsinn beschert, ist der Konkurrenzkampf auf allen Ebenen. Nur wer die billigeren, besseren und schöneren Produkte herstellt überlebt im rauen Klima des Wettbewerbs, der ja angeblich entmachtend wirken und die Monopolbildung verhindern soll.

Dass heutzutage aber alles und jedEr Ware von der Wiege bis zur Bahre ist, wird nur zu gern verdrängt. Doch wer nichts besitzt, muss sich selbst verkaufen, also ihre/seine Arbeitskraft, um sich die lebenswichtigen Dinge wie Essen, Klamotten und ein Dach überm Kopf leisten zu können. Im harten Konkurrenzkampf um die billigsten Güter bleiben die Menschen (speziell ältere, 'schwächere', 'nicht genormte') nur allzu oft auf der Strecke, denn wer nicht schnell genug hackelt, der/die wird eingespart, anders gesagt wegrationalisiert. Und da österreichische ArbeiterInnen teurer sind als Leute, die, um nicht zu verhungern, für noch weniger Geld schwarz arbeiten (nebenbei müssen auch keine Sozialversicherungen gezahlt werden...) und diese wiederum zu teuer sind im Vergleich zu 'Billig-ArbeiterInnen' aus der 3. Welt ist es kein Wunder, dass immer mehr Firmen ihre Produktionsstätten ins Ausland verlegen.

Doch ohne Geld keine Musik und so ist mensch auch schon gefangen im Teufelskreis der bis jetzt noch halbwegs sozialen Marktwirtschaft (ohne das 'soziale Netz’, das zwar mehr und mehr abgebaut wird, aber doch noch existiert, würde uns die Härte des Neoliberalismus mit voller Wucht treffen). Vielleicht verliert mensch dann auch noch neben dem Arbeitsplatz die Wohnung, dann ist die Richtung bereits vorgezeichnet. Denn ohne fixe Meldeadresse keine Aussicht auf einen Job, damit kein Geld für eine Wohnung usw.

Dass die Schuld für diese Misere nicht die Betroffenen selber tragen, wird dann bewusst, wenn mensch bedenkt, dass Menschen aller Schichten, sogar die 'Tüchtigen und Fleißigen’, auf der Straße sitzen, egal ob FacharbeiterIn oder AkademikerIn, egal wie viele Stunden gearbeitet wurde oder wie viele Jahre.

Weil Hunger, Wohnungsnot oder Isolation nicht nur das persönliche 'Problem’ der Betroffenen ist, sondern der Gesellschaft, also unser alle Angelegenheit sein sollte, laden wir ganz herzlich zu dieser Aktion gegen Armut und Obdachlosigkeit ein. Wir verteilen dabei an mittellose Menschen kostenlos warmes Essen und Getränke, um ein Zeichen gegen Entsolidarisierung und Ausgrenzung zu setzen.

Nicht zufällig wurde diese Datum gewählt: der letzte Donnerstag der Faschingszeit ist traditionell der Tag des Wiener Opernballs. Weil sich in der Wiener Oper die 'Schönen und Reichen' des Landes und des benachbarten Auslands ein Stelldichein geben, wollen wir am Nachmittag insbesondere diejenigen, die nicht auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind, zum Essen einladen und durch diese symbolische Aktion darauf aufmerksam machen, dass sich die 'Opfer des Kapitalismus’ nicht so einfach verdrängen und vergessen lassen!

Diese Aktion wird organisiert von der Grünalternativen Jugend Wien, grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte, der Rosa Antifa Wien, TATblatt.

{rosa antifa wien}