Dekadenz für Alle!
23.02.06: Aktion gegen Armut und Obdachlosigkeit: Dekadenz für Alle!
Eine warme Mahlzeit macht noch nicht satt.
Während ein Großteil der Gesellschaft davon ausgeht, dass die scheinbar unerschöpflichen und für jede und jeden zugänglichen Konsummöglichkeiten selbstverständlich sind, sind andere Menschen von diesen ausgesperrt. Ihnen fehlt es schon an den notwendigsten Existenzgrundlagen. Indem vorausgesetzt wird, dass sich alle in den Produktionsprozess einbringen müssen, werden die zum politischen und sozialen Problem erklärt, die sich nicht einbringen können oder wollen.
Deshalb wollen wir an dem Tag an dem die Oper wieder aus allen Nähten platzt, Raum schaffen für Menschen die sonst aus dem öffentlichen Raum und Bewusstsein verdrängt werden.
Wir laden also ein zu guter Musik ohne dreiviertel Tackt, leckerem Essen, und das Ganze für kein Geld.
Musik und Essen ohne Kohle
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Zeit: 23.2.06 ab 14 Uhr
Ort: Auf der Mariahilferstraße/Ecke Neubaugasse (U3/13A Station)
mehr Infos: www.obdachlos.at
Eine gemeinsam Aktion von:
Grünalternative Jugend Wien, Kost-Nix-Laden und Rosa Antifa Wien
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"Was ein Mensch gilt oder wert ist, ist sein Preis."
Wir alle haben in der uns umgebenden Realitaet, nehmen wir als Beispiel mal die Mariahilfer Strasse, nicht viele Moeglichkeiten uns zu verhalten. Es gibt nur den Weg der Konformitaet, verhalten sich Menschen abweichend davon, werden sie auch als abweichend empfunden. Als konform gilt wer produziert und konsumiert. Menschen die nichts haben als ihre Arbeitskraft sollen diese gefaelligst auch zu Markte tragen. Innerhalb einer kapitalistischen Lebenswelt schuften die Menschen um einzukaufen und kaufen ein, um weiter schuften zu koennen. Wer bei diesem Spiel nicht mitmachen kann oder will, kann sich auch im reichen Oesterreich kaum noch auf die Hoffnung berufen, von staatlichen Sozialleistungen aufgefangen zu werden. Der Sturz durch die weit gewordenen Maschen des "sozialen Netzes" fuehrt immer schneller auf den Boden einer entsolidarisierten Realitaet, soll heißen, auf den Asphalt der Straße. In einer Zeit in der die Profitmaximierung der Unternehmen ein unberuehrbares Dogma ist, wird von den Menschen verlangt die Aermel hochzukrempeln und den Guertel enger zu schnallen. Eins ist klar, wer sich dem abverlangten Mehraufwand an Arbeitszeit bei gleichzeitig sinkenden Realloehnen verweigert, der/dem wird schnell auch das letzte Hemd genommen werden.
Armut ist kein Schicksal!
Am deutlichsten wird Armut dort, wo Menschen von akuter Wohnungslosigkeit betroffen sind, sie also auf der Straße leben. Die Ursachen für Obdachlosigkeit sind generell die Kehrseite eines abverlangten Daseins in Lohn und Brot und "geregelter Verhaeltnisse", und damit ganz alltaeglich: Scheidung, Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und Verschuldung sowie prekaere Familienverhaeltnisse und psychische Krisensituationen machen es Menschen unmoeglich sich das Wohnen noch laenger leisten zu koennen. Es ist also nicht der viel zitierte "Griff zur Flasche" oder ein "verantwortungsloser Lebenswandel" der Menschen auf die Strasse zwingt.
Neben diesen gaengigen Erklaerungsschemata wird in letzter Zeit haeufig davon gesprochen, dass "Schlepperbanden" angeblich einen Handel mit bettelnden Menschen organisieren wuerden. Diese Erklaerung loest das moralische Dilemma, in das einen die Konfrontation mit existenzieller Armut fuehren kann. Der Mensch, der um ein paar Cent bittet, wird ganz bequem als "betruegerischEr AuslaenderIn" entlarvt und beiseite geschoben. In einem herablassenden Umgang mit "sozialen AbweichlerInnen" aeußert sich oft ein deutlicher Rassismus. Auf das hin und wieder aufflackernde Licht-ins-Dunkel-Mitleid der OesterreicherInnen koennen Menschen, die als AuslaenderInnen erkannt werden, nicht hoffen. Bleibt es bei einem abfaelligen "Geh hackeln!" hat er/sie vielleicht noch mal Glueck gehabt. Immer wieder werden Menschen die als fremd und /oder obdachlos gelten, in Oesterreich taetlich angegriffen und zusammengeschlagen.
Etwa 1000 Menschen sind in Wien obdachlos, wobei die Dunkelziffer nach Angaben des Augustin weit hoeher liegen duerfte. Von Wohnungslosigkeit betroffen sind aber noch viel mehr Menschen in dieser Stadt. Gerade Frauen und Jugendliche leben oft in einer versteckten Wohnungslosigkeit. Kommen sie bei Freunden oder Bekannten unter, bestehen haeufig sexuelle Zwangsverhaeltnisse, in denen ihre Abhaengigkeit in der Notsituation ausgenutzt wird. Besonders prekaer ist die Lage von AsylbewerberInnen, da das Innenministerium die Aufgaben des Bundesbetreuungsgesetzes auf ueberforderte NGOs (nicht Regierungsorganisationen) wie das Rote Kreuz und die Caritas abgewaelzt hat. Menschen, für deren Grundversorgung der Staat zustaendig waere, werden aus einem rassistisch-politischen Kalkuel an die freie Luft gesetzt.
Ohne Geld keine Musik
Die Ausschlusslogik unserer Leistungsgesellschaft macht die ueberfluessig, die nichts mehr leisten koennen oder wollen. Wer aber nicht bereit ist zu spuren soll auch nicht entspannen koennen. Sich einfach niedersetzen und die Beine lang machen wird nicht toleriert. Zum Großteil werden bestimmte oeffentliche Plaetze oder Zonen für das nicht zahlungskraeftige Publikum gesperrt. Die Kulturhauptstadt Graz hat darüber hinaus richtungweisend klar gemacht wie ganze Staedte zur no-go-area werden koennen, wenn der Zweck die Mittel nur genuegend heiligt. Im Jahr 2003, wurden Grazer Obdachlose, Punks und DrogenkonsumentInnen mit einer verschaerften Vertreibungspolitik konfrontiert, waehrend die Stadt schon zuvor Wohnungsbeihilfemaßnahmen gestrichen hatte. Irgendwo musste das Geld für die staedtische Verschoenerung und deren Ueberwachung ja herkommen.
Repressionen gegen Menschen, die sich im (halb-)oeffentlichen Raum aufhalten ohne eine Konsumabsicht zu aeussern, sind auch immer ein Teil eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. Sei es, dass den (Verkaufs-)Interessen des Gernerali Center bzw. des Einzelhandels generell entsprochen werden soll, sei es das das (unterstellte) Sicherheitsbeduerfnis der PassantInnen geschuetzt werden muss.
Die ÖBB verfolgt mit ihrer "Sie lieben Sauberkeit? Wir auch." . Kampagne eine Strategie in der klar gemacht wird, dass für den oeffentlichen Raum bestimmte Hausregeln gelten. Menschen duerfen sich dort entweder als Reisende oder gar nicht aufhalten. Entweder Mensch faehrt Bahn oder fliegt raus. In dieser Konsequenz musste der letzte Bahnhofssozialdienst am Westbahnhof schliessen.
In Wien existieren mittlerweile drei so genannte Schutzzonen um Schulen, in denen die Polizei praeventiv - also ohne dass etwas vorgefallen sein muss - ein Betretungsverbot aussprechen kann. Wird ein Mensch erneut innerhalb der Schutzzone von der Polizei kontrolliert, kann eine Geldstrafe von bis zu 360.- Euro oder zwei Wochen Freiheitsentzug verhaengt werden. Das neue Sicherheitspolizeigesetz mit der Errichtung von Schutzzonen richtet sich dabei klar gegen die bloße Praesenz von nicht erwuenschten Menschen an bestimmten Orten. Als Vorwand wurde vor allem der Konsum von Suchtmitteln gewaehlt. Aus dem, etwa im Resselpark, tatsaechlich stattfindenden Drogenkonsum wurde ein "unkontrolliertes Dealen mit Suchtmittln" konstruiert. Aus welchen Gruenden sich Menschen also zum Beispiel im Resselpark aufhalten, ist für die Herstellung eines Bedrohungsszenarios uninteressant. In reaktionaerer Manier wird eine Gefaehrdung der Jugend durch einen angeblich massiven Drogenhandel herbeiphantasiert.
Auch der schon totgesagte Paragraf 78 der Straßenverkehrsordnung der das "unbegruendete Stehen" sanktioniert, wird in der Umgebung des Resselparks angewendet. Wer der Exekutive nicht glaubhaft machen kann das ihr/sein Stehen einen Grund hat, muss 70,- Euro hinblaettern koennen. Menschen die dazu nicht in der Lage sind, finden sich für 70 Stunden in einer Ersatzfreiheitshaft wieder. Die Skurrilitaet einer Solchen Verfuegung wird nur noch von ihrer Haerte übertroffen, die auf Menschen abzielt, denen es an den meisten Orten nicht moeglich ist zusammen zu sein und FreundInnen zutreffen.
Und für wen spielt die Musik?
Während viele Menschen in Oesterreich nicht einmal über die selbstverstaendlichsten Existenzgrundlagen verfuegen und ihnen ihr Existenzrecht an bestimmten Plaetzen immer mehr streitig gemacht wird, haben einige recht viel und zeigen es auch ganz gerne her. Diese Ungleichgewichtung ist dem kapitalistischen System immanent. Die einen sind nicht arm, weil sie langsamer, fauler, duemmer oder weniger risikofreudig waeren, sondern ganz einfach weil sie nichts besitzen was sie vermehren könnten. Sie haben nur ihre Arbeitskraft und die nimmt mit dem Verschleiß der Jahre nicht zu, sondern ab. Mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors und neo-liberalisierter Anstellungsverhaeltnisse, ist aber schon lange nicht mehr sicher, dass Mensch von Lohnarbeit auch leben kann.
Gruende fuer Armut sind vielfaeltig, die einen wurden schon arm geboren und sind in einem System aufgewachsen, dass es fast unmoeglich macht aus der Armutsschleife auszubrechen. Andere mussten erst im Laufe ihres spaeteren Lebens feststellen, dass Fertigkeiten nicht immer gleich viel wert sind. Die Erfahrung wegrationalisierbar zu sein, teilen inzwischen viele ehemalige ArbeitnehmerInnen.
In einem Job zu arbeiten der einEn nicht ernaehrt, oder Kinder zu kriegen und diese ohne PartnerIn zu versorgen, krank zu werden oder alt, all das sind Gruende die Menschen verarmen lassen.
Und vielleicht gerade weil sie so alltaeglich sind, schauen die meisten lieber weg wenn sie mit Armut konfrontiert werden. Um nicht daran erinnert zu werden, dass die eigene soziale Sicherheit eine sehr fragile Konstruktion ist. Ausschlußmechanismen sind nicht an eine Einkommensgrenze oder einen bestimmten Besitzstand gebunden. Die Frage von "Haben oder nicht Haben" ist aber auch immer eine Frage "von sein oder nicht sein", wer nix hat, kann viel leichter durch Gesetze und Verordnungen eingeschraenkt und bestraft werden.
Gerne wird den Reichen und Schönen beim Feiern zu gesehen. Der Opernball als mediales Event erfreut sich jedes Jahr wieder hoher Einschaltquoten. Waehrend also einige wenige per Opernballuebertragung in allen Wohnzimmer zu sehen sind, werden viele Menschen auch an den restlichen 364 Tagen des Jahres unsichtbar gemacht und ausgeblendet.