10. November / Niemals vergessen! / Antifaschistischer Rundgang
Während des Novemberpogroms 1938 wurden 27 jüdische Männer ermordet, es gab 88 Schwerverletzte, dutzende Selbstmorde, mehr als 6500 Festnahmen, 4000 verhaftete Juden und Jüdinnen, 4000 geplünderte und zerstörte Geschäfte und 2000 sogenannte "arisierte" Wohnungen.
Es gab aber noch einen 10. November 1938. Über den wissen wir kaum etwas.
Wo am 9. November noch Synagogen und Bethäuser standen, waren tags darauf nur noch verkohlte Brandruinen. Wo es noch Geschäfte und Lokale gab, lagen nur noch Scherben - die Scherben nach denen die Nazis den Tag höhnisch "Reichskristallnacht" nannten. Zerstört von der SA, der SS, NachbarInnen und BürgerInnen.
Wo am 9. November Angst herrschte, war am 10. November nur noch Verzweiflung, zehntausende Juden und Jüdinnen wussten nicht, was mit ihren FreundInnen, Verwandten und NachbarInnen geschehen war.
Wo am 9. November noch Verzweiflung war, da war am 10. November nichts mehr - 27 Morde durch die SA und die SS unter Beifallklatschen von NachbarInnen und BürgerInnen, dutzende Selbstmorde, die Angst war so groß, dass viele lieber den Freitod wählten.
Das war der 10. November 1938 in Wien.
Der 9. November war ein Höhepunkt von Pogromen, die es in Österreich seit dem Anschluss an das 3. Reich tagtäglich gab, aber er war nicht das Ende. Das Sprichwort, "Und morgen geht die Sonne wieder auf", stimmt hier nicht, es dauerte noch fast sieben Jahre, bis den Nazis Einhalt geboten wurde.
Mit einem Rundgang wollen wir aufzeigen, wie flächendeckend die antisemitischen Ausschreitungen und Arisierungen in Wien stattfanden.
Der Rundgang führt uns durch den 9. Bezirk: Grünentorgasse - Servitengasse - Müllnergasse - Seegasse - Alserbachstraße - Altes AKH - Landesgerichtsstraße - NIG - UNI
Wir wollen euch bitten, Gegenstände wie Transparente, Fahnen, Megaphone etc. zuhause zu lassen. Das Gedenken an die Opfer des 9. November soll nämlich weder "Democharakter" haben, noch eine Art "Lichtermeer"-Trauermarsch sein, da ein inhaltsleeres, mystifizierendes Gedenken die Umstände, die diesen Wahnsinn ermöglicht haben, nicht anspricht und ähnliche Umstände, die weiterexistierten, nicht aufgreift.
Vienna´s Lost Daughters
Es ist ein Film über das Leben.
Anita, Dorit, Eva, Hennie, Lizzy, Susanne, Susy und Rosalie leben in New York, wo sie ihre Familien gegründet und ihre Existenzen aufgebaut haben.
„Vienna´s Lost Daughters“ sind als jüdische Mädchen in Wien groß geworden und wurden 1938/39 aus ihrer Stadt vertrieben.
Mit beeindruckender Offenheit und Emotionalität begegnen sie Regisseurin Mirjam Unger und gewähren dabei Einblicke und Rückblicke in die äußerst privaten Bereiche ihres Lebens. Jetzt haben sie sich entschlossen, die Türen zu ihrer Geschichte in Wien - einem Wien das in New York weiter lebt - zu öffnen. Die Protagonistinnen sind in ständiger Bewegung, sie lassen die ZuschauerInnen an ihrem abwechslungsreichen Alltag teilnehmen.
Der Film hält den sprühenden Funken in den Augen der Frauen fest, das Lachen in ihren Mundwinkeln, den offenen Ausdruck ihrer Gesichter, das Weinen über das Unvergessliche und zeigt, wie man mit Bridge, den Wiener Liedern und der Zubereitung der besten Sachertorte in New York seine Erinnerung leben kann. Der Film interessiert sich für die feinen, bis ins Somatische gehenden Auswirkungen des Schicksals dieser Frauen über Erdteile und Generationen hinweg. Aufgrund der Beobachtungen ihres amerikanischen Alltags und ihrer gebräuchlichen Redewendungen wird sowohl die Verbundenheit mit Österreich, als auch der Bruch mit der Kultur der österreichischen Täter spürbar.
Die Erinnerungen an das Unrecht, die Flucht, den Verlust fast aller Verwandten und Freunde sind nicht ein- und ausschaltbar. Sie sind Teil ihres Lebens, Teil ihrer Gegenwart. Manchmal brechen sie überraschend heftig hervor, an einem anderen Tag sind sie überdeckt von Gedanken an eine schöne Kindheit „davor“, an einen Geburtstag, ein Kinderspiel.
9. November 1938 - Niemals vergessen!
Am 9. November jährt sich zum siebzigsten Mal jener Pogrom, der im 3. Reich die Verfolgung jüdischer Menschen eskalieren ließ. Gab es schon zuvor Diskriminierungen durch die "Nürnberger Rassengesetze" und antisemitische Ausschreitungen, sollte der Novemberpogrom (von den Nazis als "Reichskristallnacht" bezeichnet) die Deutschen und ÖsterreicherInnen auf die Ausrottung des europäischen JüdInnentums einschwören und gleichzeitig der Naziführung ein Stimmungsbild verschaffen. Sie wurden nicht enttäuscht. Nachdem der 17-jährige Hershel Grynszpan den deutschen Botschaftsrat in Paris getötet hatte, sah die Nazispitze die Chance gegeben, im ganzen Land die Bevölkerung gegen jüdische Menschen zu mobilisieren.
Und an jenem 9. November 1938 kam es zur sogenannten "Reichskristallnacht" (weil sich in der Nacht das Licht in den zerbrochenen Fensterscheiben jüdischer Geschäfte widerspiegelte). Nicht bloß organisierte SA-Banden führten den Pogrom durch, nein, die Bevölkerung mischte tatkräftig mit. Plünderungen, Demütigungen und Morde wurden in jener Nacht vom Mob verübt. Teilweise ging das den Machthabern insofern zu weit, als sie befürchteten, dass Sachwerte zerstört und verloren gingen. Allein in Österreich wurden in jener Nacht 27 JüdInnen ermordet, 88 schwer verletzt, mehr als 6.500 festgenommen, 42 Synagogen wurden in Wien zerstört, mehr als 4.000 Wohnungen und Geschäfte verwüstet und 2.000 Wohnungen zwangsgeräumt.
Die Wiener Bevölkerung trieb es soweit, dass selbst die Gestapo Mühe hatte, den Mob unter Kontrolle zu bringen. Für die Nazis war es ein Erfolg: nun waren sie sich der Unterstützung der Bevölkerung sicher. Was danach kam, ist bekannt: Einsatzkommandos, Vernichtungslager, sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden. Und alles mit Präzision und Gewissenlosigkeit.
6 Millionen ermordete Juden und Jüdinnen, 3 Millionen ermordete Roma, Sinti, behinderte Menschen, Menschen aus Polen, Russland, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Homosexuelle, KommunistInnen, SozialistInnen und noch viele mehr, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Es brauchte 17 Millionen zivile Tote in der ehemaligen Sowjetunion, 3,3 Millionen verhungerter sowjetischen SoldatInnen in deutschen Lagern und Millionen von toten alliierten SoldatInnen, um den Vernichtungswahn der Nazis Einhalt zu gebieten. Am 8. Mai 1945 wurde diesem Treiben durch die Alliierten Streitkräfte ein Ende gesetzt.
TäterInnen
Und nicht etwa durch ÖsterreicherInnen oder Deutsche. Die überwältigende Mehrheit hat die Shoah und den Raubkrieg unterstützt oder toleriert. Viele profitierten davon, und zeigten kein Interesse daran, den Wahnsinn von sich aus zu beenden. Von sich auf andere schließend, ist die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem erwartet worden. Die Alliierten mussten nach der Befreiung feststellen, dass von Reue keine Spur war, eher depressive Gleichgültigkeit und Angst vor Vergeltung.
Die unfassbaren Opferzahlen selbst interessierten hier aber niemand. Zwecks Wiederaufbau wurde die deutsche Volksgemeinschaft durch die österreichische Volksgemeinschaft ersetzt und beim vielen Zupacken wollte sich hier niemand mit der gerade verflossenen Nazizeit beschäftigen. Die Entnazifizierung wurde bald beendet, viele TäterInnen und MitläuferInnen kamen unbehelligt davon, und besetzten wieder politische Ämter und behördliche Funktionen. Selbst im Kabinett Kreisky fanden sich noch drei ehemalige NSDAP-Mitglieder. Und davon gab es nach 1945 so viele, dass SPÖ und ÖVP sich nicht genierten, um ihre Stimmen zu buhlen. Die VorgängerInnen-partei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), war ohnehin Sammelbecken derer, denen Jörg Haider noch 1995 eine ordentliche Gesinnung attestierte.
Auswirkungen
Und so konnte es geschehen, dass ein Kurt Waldheim WEGEN seiner SA-Vergangenheit Bundespräsident wurde, dass ein Jörg Haider mit Nazikoketterie die FPÖ 1999 an 28% heranführen konnte und posthum als großer Politiker geehrt wird, dass ein Mitglied einer rechtsextremen Burschenschaft 3. Nationalratspräsident wird, dass antisemitische Aussagen und neonazistische Anbandeleien von PolitikerInnen, augenzwinkernd akzeptiert werden. Die Motive, mit denen solche PolitikerInnen gewählt wurden, sind immer noch im gleichen Ausmaß vorhanden: Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie, DenunziantInnentum und Autoritätshörigkeit. All diese in Österreich tief verwurzelten Eigenschaften machten auch den 9. November 1938 - und alles was danach noch kommen sollte - möglich.
Diese Kundgebung will ein Anstoß dazu sein, diesen Zuständen entschieden entgegenzutreten - in jeder Situation.
In diesem Sinne: