12.10.2000

§248 / Abs 19

Widerstandswoche 37

Die Österreicher sollen halt mehr Kinder bekommen
Die freiheitliche Sicherheitssprecherin Helene Partik-Pable lehnt (ZIB 3, 10. Oktober) eine Neuzuwanderung von ausländischen Arbeitskräften nach Österreich vehement ab. Die österreichische Wirtschaft solle auf österreichische Arbeitskräfte zurückgreifen. Angesprochen auf einen Zusammenhang mit der weiteren Finanzierung des Pensionssystems meinte die F-Abgeordnete, die Österreicher sollten "mehr Kinder bekommen". Weiters kündigte sie an, daß das "Ausländerthema sicher ein wichtiges Thema" für die Wiener Gemeinderatswahl werde.
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Neben Studiengebühren soll nun auch "Schulgeld" eingeführt werden
"Nach vertraulichen Informationen aus der ÖVP und der ÖVP-nahen StudentInnenfraktion Aktionsgemeinschaft (AG) soll es bereits ab nächstem Jahr Schulgebühren ab der zehnten Schulstufe geben und der Besuch von AHS und BHMS mit zusätzlichen Steuern ('Schulgeld') bestraft werden", so Martin Binder-Blumenthal (Wiener Landesschulsprecher). Die Unterrichtsministerin dementiert. Das heißt, Schulgebühren kommen sicher.
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Brutaler Polizeieinsatz in Graz
Bei einer Wahlkampfveranstaltung der ÖVP, bei der auch der CSU-Politker Stoiber auftrat ("Wir wollen nicht, daß sich hier Lebensformen etablieren, die nicht deutsch sind, ...") wurde von einigen Leuten unter den ZuhörerInnen das Transparent "Widerstand organisieren" entrollt und sofort von Beamten der Sondereinheit "Taurus" eingekesselt. Nach dem Ende der Wahlkampfveranstaltung wollte die Gruppe geschlossen den Platz verlassen. Das war nicht mehr möglich: Die Polizisten zerrten die AktivistInnen unter Gewaltanwendung an den Straßenrand und hinter eine Tribüne, also weg von Kameras, PassantInnen und sogar weg von der polizeieigenen Überwachungskamera. Niemand von den AktivistInnen wehrte sich oder leistete irgendeine Form von Widerstand. Auch Bekannte und FreundInnen, die ihnen zu Hilfe kommen wollten, fanden sich plötzlich am Boden und in Handschellen wieder. Es hagelte willkürlich und wahllos Anzeigen: wegen Ordnungsstörung. Einen derart unbegründeten und exzessiven Polizeieinsatz haben wir in Graz noch nicht erlebt! Nicht nur Brutalität und haltlose Anzeigen, sondern auch, daß Fotoapparate, Aufnahmegeräte und persönliche Dinge weggenommen wurden, ist alarmierend und erschreckend. Genauso beängstigend ist, daß ganz normale BürgerInnen die Gewalt der Polizei nicht nur beklatscht, sondern sogar tatkräftig unterstützt haben, gegen Leute, die sich nicht mehr verteidigen konnten und nur eine andere Meinung als die ihre geäußert hatten.
Drohung: "Wenn Haider an die Macht kommt, erschießen wir Dich"
In Feistritz im Rosental (Kärnten) hatte ein 24-jähriger Monteur seinen aus Rumänien stammenden Vorarbeiter als Ausländer beschimpft und mit dem Erschießen bedroht. Eine der Drohungen: "Der Haider kommt an die Macht und dann erschießen wir alle Ausländer" führte zur Verurteilung und zu einer Geldstrafe von 15.000, Schilling.
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Blaue Regierungsriege verklagt StudentInnenzeitung
Weil in einem LeserInnenbrief der StudentInnenzeitung "Linkswende" (Auflage 200 Stück?) "... ich war von Anfang an bei den Demonstrationen gegen diese rechtskonservative XXXXXregierung dabei ..." stand, klagten Justizminister Böhmdorfer, Finanzminister Grasser, Vizekanzlerin Riess-Passer, Sozialministerin Sickl und Infrastrukturminister Schmid wegen "Beleidigung". (Klage wurde selbstverständlich durch die Kanzlei "Böhmdorfer Gheneff KEG" verfaßt.) Das Blatt stimmte schlußendlich einem Vergleich zu: "Wir hätten verloren, die Prozeßkosten wären explodiert". Das StudentInnenblatt zahlte der blauen Regierungsmannschaft 18.000 Schilling, die ziehen dafür ihre Klage zurück. Weitere Auflage: Nie wieder darf behauptet werden, Österreich hätte eine "neue rechtskonservative XXXXXregierung". (Der Falter)
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Jenseits
Da die RKL (Revolutionär Kommunistische Liga, laut Eigendefinition antifaschistisch) trotz heftiger Interventionen die Demonstration vom letzten Freitag auch weiterhin "bedingungslos unterstützt" auf der antisemitische Transparente ("Was will die jüdische Politik? Weltherrschaft?") zu sehen waren, sind sie wohl dort, wo sie, laut Eigenangaben, "im Revier der Neonazis wildern" wollten, gelandet.
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Prozeß gegen Charles O.
Die Fortsetzung des Prozesses gegen Charles O. Findet am 13. Oktober um 9.30 Uhr im Landesgericht, Wickenburggasse 22, 1080 Wien, Zi 106, 1. Stock statt. Antirassistische ProzeßbeobachterInnen sind erwünscht.
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Prozeß Haider vs. Pelinka, Neugebauer
Der Prozeß Haiders gegen seine Kritiker Pelinka und Neugebauer findet am 24. Oktober um 9.15 Uhr im Saal 212 des Landesgerichtes (Adresse siehe oben) statt. Auch hier sind ProzeßbeobachterInnen willkommen.


In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Wien 42 Synagogen und jüdische Bethäuser, zahllose jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, zerstört und beschlagnahmt. 6547 Juden wurden festgenommen und 3700 davon in das Konzentrationslager Dachau verschickt.

Niemals vergessen!

In Wien suchte ich den Aspang-Bahnhof. Das war der dortige Deportationsbahnhof. So hatten mir die Wiener Juden der jüdischen Gemeinde berichtet. Wien, das gehört zu meinen bedrückendsten Erinnerungen. Polen, Rußland, Rumänien alles schreckliche Erlebnisse. Erschießungsgruben, Vernichtungslager, Gaskammern. Eine Vergangenheit, die immer wieder gegenwärtig wird für mich. Alles ist ja bald fünfzig Jahre her. Das ist nicht lang, was ist schon ein halbes Jahrhundert. Und dennoch ist alles dort Vergangenheit. Aber Wien hat mich auf andere Art bedrückt, hier glaubt man, die Zeit sei stehengeblieben.
Bei meinem ersten Besuch hatte ich, wie überall, die jüdische Gemeinde aufgesucht. Der Vorsteher, mit dem ich außer über Deportation und Ermordung der österreichischen Juden auch über Kurt Waldheim sprechen wollte, holte, anstatt mir auf meine Fragen zu antworten, ein Manuskript aus seinem Schreibtisch. Ich war gespannt, was er damit tun wollte. Er begann daraus vorzulesen. Als er die erste halbe Seite heruntergelesen hatte, unterbrach ich ihn: "Warum erzählen Sie mir das nicht?" Seine Antwort: Weil er nichts zu diesem Thema sagen wolle, was nicht hieb- und stichfest sei. Das verblüffte mich nun wirklich. Denn ich hatte weder ein Mikrofon noch eine Kamera dabei. So viel Angst haben die Juden in Wien also schon wieder, dachte ich. [...]
Ein halbes Jahr später traf ich Rolf Liebermann in Salzburg, bei Dreharbeiten. Es war jener Sommer, in dem eine Inszenierung von Georg Tabori in Salzburg abgesetzt worden war. Liebermann gab mir den Rat, in der Umgebung von Salzburg in die Beiseln zu gehen und den Leuten zuzuhören. Da würde ich hören können, daß man so einen wie den Tabori vergessen hat zu vergasen. Der Antisemitismus in Österreich war auch einer der Gründe, weshalb Liebermann seine Tätigkeit in Salzburg eingestellt hat.
Ich suchte in Wien Juden, die deportiert worden waren und sich nun bereit fanden, mir von ihrer Deportation zu erzählen. Ich wollte ja herausfinden, wie das denn funktioniert hatte, Juden aus ihren Wohnungen in Amsterdam oder Wien oder Budapest herauszuholen und in den Osten zu schaffen. Wer hatte sie benachrichtigt? Wer hatte sie geholt? In welchem Land in Europa hatte es dabei Verweigerungen, in welchem tatkräftige Unterstützung gegeben? Und warum hatten sich die einen so, die anderen anders verhalten?
Also Wien. Wien war die einzige Stadt, in der ich bei meinem ersten Besuch völlig ergebnislos nach auskunftswilligen Zeugen gesucht hatte. Alle hatten irgendwelche Entschuldigungen, mich nicht zu einem Gespräch zu empfangen. Krankheit, Reise, Termine. Ich hatte dann von Berlin aus neue Kontaktadressen bekommen. Vor allem hatte mir ein Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde Wien zugesagt, mir zu helfen. Nun war ich wieder in Wien, aber die Leute, die ich interviewen wollte, hatten plötzlich alle keine Zeit. Oder plötzlich eine schreckliche Grippe. Oder einfach zuviel Angst, vor die Kamera zu gehen. Genau das war, wie ich schließlich herausbekam, der Grund. Angst. Angst, sich als Jude zu erkennen zu geben. Aber es dauerte einige Zeit, bis ich das begriff. Erst als ich alles zusammenzählte, den Vorsteher der Gemeinde mit seinem lächerlichen Manuskript, da begriff ich, was in Österreich schon wieder los ist.
Schließlich half das Wiener Institut für Zeitgeschichte. Ich bekam Namen und Adressen von Juden, die politisch organisiert sind und also keine Angst haben, sich als Juden zu erkennen zu geben.
Fritz Kleinmann war sofort zu einem Interview bereit. Wir trafen uns im Hof einer Schule. Heute Schule, damals Schule. Damals aber auch Sammelplatz, einer von drei Sammelplätzen, wo sich die Wiener Juden einfinden mußten, um von hier aus deportiert zu werden. Neben dem Eingang: eine Erinnerungstafel. Auch nicht gerade übergroß, aber immerhin stand da geschrieben, daß von hier aus die ersten Sammeltransporte abgingen: Oktober 1941. Daneben und darüber bunte Bäume und Blumen, Kinderzeichnungen. Fritz Kleinmann erzählte:
Ich wurde das erste Mal am 9. November 1938 bei der Reichskristallnacht verhaftet, und zwar von Nachbarn aus unserem Wohnhaus, die dann stramme Nationalsozialisten waren. Die suchten den Vater, und weil sie ihn nicht fanden, hat man mich mitgenommen. Das waren vier Leute, die mit dem Vater per du waren, und der Vater wurde auch von denselben Leuten an dem Tag verhaftet. Ich kam am nächsten Tag noch einmal frei, weil ich erst 15 Jahre alt war, und der Vater kam nach Haus, weil er im Ersten Weltkrieg Frontsoldat war und höchste Auszeichnungen für den Kampf an der Front erhalten hatte.

Wenn da vier Leute kommen, die einen kennen und die man kennt, die einen abholen wollen, da fragt man doch erst mal: Was soll das?

Man mußte mitgehen, das waren SA-Leute. Der eine war politischer Funktionär in Uniform, die anderen waren in Zivil mit Hakenkreuzbinden. Es war ihnen unangenehm, zu uns zu kommen, das merkte man, aber sie haben es ja an anderen Stellen überall gemacht. Wir waren ja nur die Bekannten aus dem Haus. Sie haben uns auch nicht geschlagen. Dieselben Leute kamen nach Kriegsbeginn 1939 wieder, diesmal mit zwei SS-Leuten, alles Österreicher, und die suchten wieder den Vater, und ich mußte mitgehen, weil der Vater nicht zu Hause war. Die Gefängnisse in Wien waren überfüllt, über tausend Wiener Juden wurden inhaftiert und mit Autos zum Westbahnhof gebracht, dann mit Zügen nach Weimar und ins Konzentrationslager Buchenwald transportiert.

Wer bat die Züge begleitet, wer hat die ganzen Aktionen gemacht, immer Österreicher?

Deutsche und Wiener Schutzpolizei begleiteten uns bis Weimar. Dort wurden wir von der SS-Verfügungsstandarte übernommen.

Wie haben sich die Österreicher den verhafteten Juden gegenüber verhalten?

Bei der Reichskristallnacht wurden die Juden verprügelt, mißhandelt, schikaniert, die Tempel wurden angezündet.

Von Österreichern?

Ja. Sicher auch unter Anweisung der deutschen Nazis, aber da waren schon unsere Einheimischen stark dabei.

Sie hatten ja noch einen Bruder und zwei Schwestern, was ist mit denen geschehen?

Die eine Schwester wurde in der Reichskristallnacht von Jugendfreunden, die jetzt stramme SA-Leute waren, zu "Reibarbeiten" geholt. Sie mußte mit anderen Juden die Straßen mit Zahnbürsten reinigen. Das war eine reine Schikane, und die Leute haben dabei zugeschaut und sie bespuckt und geschlagen. Das war das Normale damals. Sie ist 1939 mit einem Dienstbotenvertrag nach England ausgewandert. Mein Bruder wurde mit elf Jahren von der Mutter zu fremden Leuten nach Amerika geschickt. Am 6. Juni 1942, während der Vater und ich schon im Konzentrationslager waren, wurden meine Mutter und meine andere Schwester aus der Wohnung geholt und nach dem Osten deportiert. Sie wurden beide in Minsk erschossen.

Haben Sie nach dem Krieg diese Leute, die Sie verhaftet haben, wiedergetroffen?

Ja, sie haben ja in unserem Haus gewohnt. Ich war am 28. Mai schon aus dem Konzentrationslager Mauthausen wieder in Wien. Von den 1048 Juden aus meinem Transport haben 26 überlebt. Auch mein Vater hat das Konzentrationslager überlebt, er kam aus Bergen-Belsen zurück. Und diese vier, die mich 1938 und 1939 verhaftet hatten, beschwerten sich, daß ich sie nicht grüße. Der Vater meinte, warum ich sie nicht grüße, das wäre nicht so schwer, wir wollten ja wieder ruhig leben, und ich sagte ihm, ich habe keine Veranlassung dazu. Solange sie lebten, 40 Jahre lang, kam keiner von ihnen zu mir und sagte, es tut mir leid, was eurer Familie geschah.

Aber sie wollten gegrüßt werden?

Ja, das hätten sie gern gehabt, das Gewissen zu bereinigen.

Wie lebt es sich heute als Jude in Österreich?

In den letzten Jahren wurde es schon schwierig. Die Ressentiments sind stark, und mit denen muß man leben. Man hat mir am Stephansplatz gesagt: "Schade, daß man euch nicht alle vergast hat." Das war 1987.
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Er zeigt mir die Fotos seiner Familie. Ich sehe mir die Gesichter der Mutter und der Schwester an, die beide in Minsk erschossen wurden. junge, schöne Gesichter. Ernst, aber ahnungslos schienen sie mir. [...] Ich gebe Herrn Kleinmann die Fotos wortlos zurück. Er sagt auch nichts. Dann packt er alles wieder in seine Aktentasche zurück. Er begleitet uns zu den anderen Sammelplätzen. Ein Neubau. Wir fahren weiter. Der andere ebenfalls ein Neubau, heute ein Altersheim. Wir gehen durch das Haus, sehen, daß im Hof ein alter jüdischer Friedhof erhalten ist. Die sehr alten jüdischen Grabsteine waren umgestoßen und zerstört, sind jetzt, mühsam restauriert, wieder aufgerichtet. Auch das ist ein Teil der Geschichte der österreichischen Juden, Zeichen ihrer Anwesenheit hier, seit Jahrhunderten.

Mahnwache und Kundgebung * Donnerstag, 9. November 2000 * 18 Uhr
Gedenkstein vor dem ehemaligen Aspangbahnhof (1030 Wien, Platz der Opfer der Deportation)


für diese Ausgabe verantwortlich:
Winterharte Riesenhibiscusstaude und Revolutionsbräuhof