§248 / Abs 27
Widerstandswoche 45
Shorties
Checkpoint Austria I: Die Logik der Menschenrechte
Schon im Vorfeld der Blockade wurden die meisten Checkpoints seitens der Polizei untersagt. Dabei stellte die Polizei unbeabsichtigterweise aber zu Recht den guten Ruf der Menschenrechte in Frage, da sie zur Begründung der Verbote eben diese heranzog. Die Polizeijuristen machten sich die Logik der Menschenrechte zunutze, die zu jeder gewährten Freiheit gleich die notwendigen Beschränkungen mitliefern, sodaß z. B. der Artikel 11 der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), der die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantiert, einen zweiten Absatz hat, der festlegt, daß diese Freiheiten Einschränkungen unterworfen sind, wenn sie der "öffentlichen Sicherheit" und "der Aufrechterhaltung der Ordnung" dienen.
Checkpoint Austria II: Die Menschenrechte werden durchgesetzt
Da trotz des Verbots der meisten Checkpoints sich die VeranstalterInnen nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließen den Verkehr zu blockieren, kam die Polizei ihrem Beruf nach, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen: Die DemonstrantInnen wurden angegriffen und "zur Seite geschoben", wie das Vorgehen euphemistisch genannt wurde. An der Kreuzung Reinprechtsdorferstraße/Schönbrunnerstraße wurde ein Demonstrationszug, nachdem er vorher schon angegriffen worden war, eingekesselt und die DemonstrantInnen erst nach der Aufnahme der Personalien wieder freigelassen. Auch an anderen Orten Wiens kam es zu Übergriffen. Besonders peinlich für die Polizei: Auch ein APA-Photograph wurde beamtshandelt. Berichte von den einzelnen Checkpoints: www.checkpointaustria.at
Checkpoint Austria III: Eine unheilige Allianz?
Auch im Nationalrat sorgte die Blockadeaktion für Gesprächsstoff: Vizekanzlerin Riess-Passer sah in den Manifestationen eine "unheilige Allianz zwischen Chaoten, Gewerkschaftern und AHS-Lehrern". Auch Bundeskanzler Schüssel sah die Grundfesten des Abendlandes bröckeln, habe sich doch der ÖGB gemeinsam mit der "Anarcho-Szene" "Mobbing" betrieben. Über das Thema pathische Projektion vgl. umseitigen Text
Unglaubliche Angriffe auf die Fristenlösung
Die Angriffe auf die Fristenlösung, die im Sommer durch die Forderung der ÖVP eingeläutet wurden, sie "tabulos" neu zu diskutieren, und die durch die letztwöchigen Aussagen Herbert Haupts, der verstärkte Mitsprache des Mannes forderte weiter angeheizt wurden, bekommen von bewährter Seite Unterstützung: Salzburgs Weihbischof Andreas Laun meinte: "Hitler hätte Freude" an der Fristenlösung, und verglich ÄrztInnen die Abtreibungen durchführen mit dem Nazi Arzt Gross: "Muß Dr. Groß ins Gefängnis, nur weil er zu spät dran war?"
Verhinderte Abschiebung
Am Montag wurde erfolgreich die Abschiebung von Anthony O. verhindert. AntirassistInnen protestierten am Flughafen gegen die Abschiebung und informierten die Passagiere des Fluges über diese. O. selbst soll sich, so die Aussendung der Polizei, "mit Händen und Füßen" gegen den gewaltsamen Abtransport gewehrt haben. Jetzt sitzt Anthony O. in U-Haft wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.
Festung Europa in Aktion: Flüchtling in Spanien erschossen
Bei dem Versuch, europäisches Festland zu betreten wurde an der spanischen Südküste ein Flüchtling aus Marokko von der Polizei erschossen. Die Behörden sprechen von einem Schuß, der sich "versehentlich" gelöst hat.
Die Jagd geht weiter
Krise der FPÖ oder ein weiterer Schritt in Richtung demokratischer Volksgemeinschaft?
Seit mehreren Wochen kennt die politische und mediale Öffentlichkeit in Österreich nur noch ein Thema: die sogenannte Spitzelaffäre. Täglich neu auftauchende Vorwürfe und Hinweise, die Aufnahme von Vorerhebungen gegen das wohl einflußreichste aller einfachen Parteimitglieder in Österreich, Jörg Haider, sowie die mittlerweile durchgesetzte Aufhebung der Immunität diverser Parteigranden bringen KommentatorInnen dazu, von einer veritablen Krise der FPÖ zu sprechen. Aktuelle Wahlergebnisse scheinen diesem Befund bis zu einem gewissen Grad Recht zu geben. Weiters kursieren Einschätzungen, die das Entscheidungsmonopol Jörg Haiders innerhalb der FPÖ erstmals in Frage gestellt sehen. Es wird unterstellt, daß die FPÖ eine reine Oppositionspartei sei, die aufgrund ihrer "Natur" eine "Protestpartei" zu sein, in einer Regierung zwangsläufig die Zustimmung verlieren, sowie an ihren eigenen Ansprüchen scheitern müsse. Jene Partei, die in der Opposition in den Augen der demokratisch gesinnten Kritiker berechtigterweise auf Mißstände des Systems hingewiesen, dies aber in historisch zu wenig feinfühliger Sprache vorgetragen habe, würde sich in Wirklichkeit derselben angeprangerten Mittel bedienen, womit dem Image der "Saubermänner" endgültig der Boden entzogen sei. Diese Beurteilung verfehlt jedoch das Wesen der österreichischen Volksbewegung des Dritten Weges und ihrer AnhängerInnen bzw. WählerInnen.
Die FPÖ schweigt keineswegs zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen. Mittlerweile hat sich eine ziemlich einheitliche Abwehrreaktion herausgebildet, die von heftigem Nach-Außen-Schlagen geprägt ist. Darin sind sich die Freiheitlichen durchaus treu geblieben: Schon das frühere, angeblich der ganz normalen Parteienkonkurrenz sowie der Oppositionsrolle geschuldete Auftreten war nicht der "berechtigte Hinweis auf bestehende Mißstände", als das es auch von KritikerInnen immer gesehen wurde, sondern pathische Projektion der gesellschaftlichen und politischen Krise. Die FPÖ präsentiert sich dabei als der demokratisch-faschistische Ausweg aus dieser Krise, indem sie mit ihrem permanenten Appell an das Kollektiv auf genau jene Krisenlösung verweist, die der Nationalsozialismus in großem Maßstab vorexerziert hat, und an die sie unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen sich anschmiegen will. Dabei hat sie an sich selber durchgeführt, was sie für Staat und Nation vorsieht: Die Transformation in die schlagkräftige, stammesmäßig organisierte Bande. Dabei wird jene Umwandlung von Gesellschaft in Gemeinschaft verfolgt, die auch die nationalsozialistische Herrschaft kennzeichnete.
Während der historische Faschismus die Demokratie beseitigen wollte, da ihr Reglement die Krise der Nation nicht bewältigen und überwinden konnte, erkennt die FPÖ, daß die österreichische Gesellschaft, die auf den Resultaten der nationalsozialistischen Herrschaft aufbaut, den faschistischen Ansprüchen durchaus genügt. Seit Beginn der Zweiten Republik an charakterisierte sich das österreichische politische System durch totale Vereinheitlichung mittels massenhaft verbreiteten und staatlich verwaltetem Rassismus sowie durch unbedingte Ausrichtung des Einzelnen auf das vorgängige Allgemeinwohl bei gleichzeitiger Verteufelung des egoistischen Einzelinteresses. Der Ausnahmezustand, der von den Nationalsozialisten noch gegen die Demokratie durchgesetzt werden mußte, ist in der postfaschistischen Demokratie bereits in diese integriert. Die Transformation, die die FPÖ anstrebt, stellt sich daher nicht mehr als Bruch dar, sondern als konsequenter Endpunkt gesellschaftlicher Entwicklung. Infolgedessen tritt, was historisch die faschistische Kritik an der bzw. die faschistische Bewegung gegen die rechtsstaatlich vermittelte Herrschaft war, als konsequente Demokratisierung, als Abbau von Filz, Proporz und Bürokratie und als Herstellung eines direkten, unvermittelten, quasi radikaldemokratischen Verhältnisses von Volk und Führung, von Mob und Elite auf.
Diese Einheit stellt sich notwendig über pathische Projektion her. Das Bedürfnis nach solcher bedient Jörg Haider am konsequentesten. Die Vorwürfe gegen ihn und seine Mannschaft entsprängen bloß "kranken Gehirnen". "Die Journalisten" stellen dabei im Moment neben "den Linken" jene Projektionsfläche dar, an der sich das Kollektiv die Widerwärtigkeit zersetzender, spalterischer Tätigkeit ausmalen soll. Man halluziniert sich als Opfer dunkler Mächte und perfider Charakterlosigkeit. Die bereits seit Jahren praktizierte Rede von der "linken Jagdgesellschaft" erfährt neuen Aufschwung. Die Inversion von Täter und Opfer ist in dieser Logik fest verankert: Jene, die nur berechtigterweise auf Mißstände hingewiesen hätten, würden nun von den immer noch allmächtig phantasierten Überbleibseln der alten Ordnung verleumdet und verfolgt. Dabei hätten die in die "Spitzeleien" Involvierten doch nichts Unrechtes getan, sondern nur aus einem Notstand heraus, also in Notwehr, gehandelt (Jörg Haider). Es wird also eine nationale Krise beschworen, in der es legitim sei, die Regeln des Rechtsstaates, mit denen jener nicht beizukommen sein, zu unterlaufen, um dem Souverän gegenüber "linken Volksfeinden" zu seinem Recht zu verhelfen. Diese seien es nun, die mit aller ihnen zur Verfügung stehender Macht, den nationalen Rettungskurs der FPÖ zu verhindern suchten. Jede neue Entwicklung wird in die Projektion eingebaut: Jedes Fallenlassen einer Suspendierung wird als Triumph gefeiert, der zeigt, dass letztlich nur böswillige Anwürfe und Fälschungen die Motive der Ermittler sind.
Solcherart wird eine Opferrolle imaginiert, die zur Handlung zwinge: "Freunde, ihr müßt verstehen, die haben uns den Krieg erklärt. Darauf müssen wir die richtige Antwort geben. (...) Ich eröffne die Jagdsaison auf die Jagdgesellschaft." (Jörg Haider) Sich derart als verfolgende Unschuld gerierend, wird zum Halali auf jene geblasen, die den Vertretern des "wahren Volkswillen" in die Quere zu kommen scheinen. In diesem Aufruf zur Gewalt gegenüber den designierten Feinden trifft die FPÖ-Agitation sich wiederum mit dem historischen Faschismus. Daß die Angesprochenen den sublimen Inhalt der Argumentation verstehen und die oft verdeckten Andeutungen konsequent zu Ende denken, zeigt der Überfall von Anhängern Haiders auf auf eine Gruppe von als "links" ausgemachten Personen nach dem Wiener Wahlkampfauftakt der FPÖ.
Die FPÖ nutzt also die "Spitzelaffäre" dazu, ihr Ressentiment gegen Rechtsstaat und vermittelte Herrschaft auszuagieren und ihren Vorstellungen von einem unmittelbaren Bündnis von Volk und Führung weiter zum Durchbruch zu verhelfen. Die Klagen, mit denen dabei alle diesem Ziel (scheinbar) Entgegenstehenden eingedeckt werden, sind dem Zweck des Beweises der Schlagkräftigkeit und Souveränität der FPÖ untergeordnet. Ob diese Strategie letzten Endes von Erfolg gekrönt sein wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Sollte die FPÖ bei den anstehenden Ermittlungen und eventuell folgenden Verfahren nicht massiv unter Druck geraten, hätte sie demnach implizit Legitimation für ihr Notstandsprogramm erhalten, ergäbe dies eine neue Qualität der Durchsetzung des demokratischen Faschismus.
für diese Ausgabe verantwortlich:
Basisgruppe Politikwissenschaften