§248 / Abs 47
Widerstandswoche 73
FESTUNG EUROPA
# Tödliche Grenze. In der March (im Dreiländereck A/ CZ/ SLO) ertrank letzte Woche zumindest eine Person beim Versuch, EUland zu erreichen. Weitere 16 Personen werden weiterhin vermißt (zumindest einige könnten es nach Tschechien geschafft haben). Laut slowakischen Behördenberichten konnten slowakische GrenzbeamtInnen eine Person retten - die zuständige Polizei spricht von drei noch am Flußufer Verhafteten. Österreichs GrenzwächterInnen "bemerkten" den "Vorfall".
www.no-racism.net
# Das jüngste Gutachten zur Todesursache von Marcus Omofuma steht nun öffentlich zugänglich im Netz: www.8ung.at/gutachten
SCHWARZBLAU
# Komödie um Abfangjäger. Nachdem für Andreas Kohl (VP) die Neutralität schon länger real abgeschafft ist, der "Kriegsermächtigungs" - Paragraph 23f (infos unter www.friwe.at) ebenso vor einiger Zeit in der österreichischen Verfassung verankert wurde, steht jetzt u.a. der Kauf neuer Abfangjäger an. Deren Kosten wollen jetzt allerdings einige FPÖlerInnen nimmer tragen. Schließlich gilt es ein Nullbudget klar zu kriegen.
# Studiengebühren. Diese Woche sollen die Erlagscheine verschickt werden, und das aus den Gebühren einzuhebende Geld ist auch schon wieder ausgegeben: Eine breite Werbekampagne für die Gebühren lassen sich Frau Gehrer und andere einiges kosten.
Auf seiten der GegnerInnen wird nun mit der frischgewählten OEH fest am Boykott gebastelt. Wenigstens diese Gebühren sollten zu verhindern sein!
www.oeh.at
www.strike.action.at
DEMONSTRATIONEN
Aussichten und Nachwirkungen
# Prozesse. Bereits vergangene Woche wurde eine Frau in Verbindung mit der Anti-FP Kundgebung in Oberlaa wegen versuchtem Widerstand zu einem Monat bedingt verurteilt. Ein geworfenes Ei hingegen hatte keine Strafe zur Folge.
Letzten Dienstag fand eine Folgeverhandlung gegen zwei Personen statt, denen jeweils Widerstand und schwere Körperverletzung vorgeworfen wird - angeblich begangen auf der Demonstration gegen Polizeigewalt am 20.5.00 (nach dem Tod des Imre B.). Einstweilen vertagt.
# Wullowitz, Salzburg. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt für alle gleich, eh klar. Während VP Landtagsabgeordneter Otto Gumpinger zuversichtlich die Genehmigung neuer Grenzblockaden für den nationalen Kampf gegen Temelin erwartet, wird es zum WEF-Europa Treffen in Salzburg keine erlaubte Demonstration geben. Genehmigt wurde dort ausschließlich eine Kundgebung am Bahnhofsvorplatz - bei gleichzeitiger Abriegelung der Innenstadt.
Übrigens: Atom(Castor)gegenerInnen im fernen D haben es nicht so "einfachî.
OÖN www.no-racism.net www.indymedia.org
VERGESSEN
# Europride. In der Nacht vor der Eröffnung der Ausstellung "Aus dem Leben" über die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien 1938-45 wurde diese zu einem großen Teil verwüstet. Von den AusstellungsinitiatorInnen der HOSI meinte Kurt Krickler: "In einem Land, wo die Regierung Homophobie zu ihrem Programm erhoben hat, wo die beiden Regierungsparteien ÖVP und FPÖ erst vor einer Woche die Entschädigung von homosexuellen NS-Opfern abgelehnt hat, wo diese beiden Parteien seit fast zwei Jahrzehnten vehement jeden Fortschritt und jede Gleichstellung von Lesben und Schwule verhindern, muss natürlich ein Klima und ein Nährboden für derartige Aktionen entstehen."
der Standard
# Vergangene Woche wurden in Hohenems (Vrlb.) Teile des Jüdischen Friedhofs zerstört. Einen politischen Hintergrund habe die Tat sicher nicht, wie es die Vorarlberger Nachrichten sogleich verbreiteten.
# Späte Entschuldigung. Während WissenschaftlerInnen wie Rudolf Burger vergessen wollen (siehe Rückseite), gestand die Max-Planck-Gesellschaft die Vorbereitung und Beteiligung vieler WissenschaftlerInnen an NS-Verbrechen nunmehr offiziell ein. Zu verantworten seien zb Menschenversuche ihrer Vorgängerorganisation und die schleppende Aufarbeitung, die vor allem kollegialer Schonung und der Tatsache geschuldet seien, daß zu viele aktiv oder passiv an den Verbrechen beteiligt waren.
der Standard
UND
ÖsterreicherInnen sind punkto Arbeitsmotivation Weltklasse. Platz eins bei einer diesbezüglichen Umfrage - laut ORFon.
Nationaler Schulterschluß gegen die Erinnerung
"Also, ich bin sicherlich nicht derjenige, der ein Leben lang im Büßerhemd durch die Welt geht.
(...)
Warum soll ich mich mit irgendwelchen Vergangenheitsproblemen belasten?"
(Jörg Haider, in Der Spiegel 5/2000)
Der Schattenkanzler der Wenderegierung gibt auch im Bereich der Vergangenheitspolitik die Richtung vor. Sein Berater Andreas Mölzer nennt als Ziel der Regierung die "Überwindung des typisch deutschen und damit österreichischen Nationalmasochismus und die Gewinnung eines geläuterten, auf historischer Wahrheit beruhenden zukunftsfähigen Selbstbewußtseins des österreichischen Gemeinwesens". (Zur Zeit 5/00) Dieser als "Selbstbewußtsein" bezeichneter Nationalismus verträgt sich tatsächlich nicht mit der Erinnerung an die NS-Verbrechen, die maßgeblich von Österreichern geplant und begangen wurden. Das gilt insbesondere für die Shoah, der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen. Bis Mitte der 80er Jahre wurde diese Schuld und die daraus resultierenden (finanziellen) Verpßichtungen kollektiv mit dem Opfermythos abgewehrt. Nach diesem waren die ÖsterreicherInnen das "erste Opfer" der NS-Aggression, wie Kanzler Schüssel im Interview mit der Jerusalem Post neuerlich behauptete. In den Entschädigungszahlungen an die tatsächlichen Opfer drückt sich demnach auch kein Rechtsanspruch ausü sondern eine "moralische Verantwortung" (Schüssel). Den so vom guten Willen Österreichs abhängigen NS-Opfern wird dann auch noch Dankbarkeit abverlangt. Vor allem sollen sie endlich Ruhe geben: In der unter kritischer internationaler Beobachtung erfolgten Einigung mit den jüdischen Opferverbänden drückt sich der Wunsch nach einem Schlußstrich aus, wie es Finanzminister Grasser in seiner diesbezüglichen Rede im Parlament auch unumwunden aussprach. Sein Parteifreund Westenthaler wollte Anfang 2001 von den zuständigen MinisterInnen wissen, "wie lange wir noch zahlen müssen". Der ungeduldige FPÖ-Klubobmann meinte weiter, dass man die "Frage stellen dürfen (soll), wann ein Schlußstrich gezogen wird." (Neue Kronen Zeitung, 5. 1. 2001) Diejenigen, die sich dem Schlußstrich widersetzen oder alleine durch ihre Existenz dauernd an die Shoah erinnern, werden neuerlich zum Objekt des Hasses. Im Antisemitismus nach und wegen Auschwitz werden die alten Sterotypen wie die "j,dische Geldgier" oder "Rachsucht" wieder aufgewärmt: "Die Abwehr der Erinnerung an das Unsägliche, was geschah, bedient sich eben der Motive, welche es bereiten halfen." (T. W. Adorno)
Die Abwehr nimmt bisweilen auch die Form von Relativierung der Schuld durch den Hinweis auf das Schicksal der 1945 ausgesiedelten "Volksdeutschen" an. FPÖVP haben ja schon in ihrer Regierungserklärung betont, sich für Wiedergutmachung gegenüber diesen "eigenen Leuten" (Haider) einsetzen zu wollen. Um den ÖsterreicherInnen die bescheidenen Zahlungen an NS-ZwangsarbeiterInnen und jüdische Überlebende leichter verdaulich zu machen, wurde auch ein "Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz" verabschiedet. Nach diesem erhalten in osteuropäische Kriegsgefangenschaft geratene Wehrmachtssoldaten und SS-Schergen, sofern sie nicht in Österreich verurteilt wurden, monatlich 200 bis 500 Schilling. Die SPÖ reagierte auf diesen Skandal übrigens mit der Forderung nach Ausweitung der Zahlungen auf alle österreichischen Kriegsgefangenen...
Kein nationaler Schulterschluß ohne die nationale Intelligenzia: Im Standard (9./10. 6.) holte der Philosophieprofessor Rudolf Burger zum Rundumschlag gegen die Erinnerung an die Shoah aus. Seine von eisiger Gefühlskälte gegenüber den NS-Opfern und deren Angehörigen geprägten Auslassungen sind als Rationalisierung der Schuldabwehr inhaltlich nicht kritisierbar. Daher nur ein paar Anmerkungen: Wie stets im Abwehrdiskurs wird die Shoah vom singulären Zivilisationsbruch zu einem "Großverbrechen" unter vielen. Darüber hinaus suggeriert Burger mit seinem Hinweis auf das Vergessen von (Bürger)Kriegen, bei der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik handle es sich um einen solchen. Auch setzt er sich über die zahlreichen Arbeiten über das regressive Moment pathologischer Gruppenbildung souverän hinweg. Gerade die NS-Volksgemeinschaft ist ein eindrucksvoller Beleg für die von ihm geleugnete Möglichkeit der Ausbildung eines kollektiven Über-Ichs in der Form des "Führers". Und nur in diesem Zusammenhang macht die von Burger kurzerhand als falsch abgetane Rede von der "Verdrängung" Sinn: Es waren ja gerade nicht die Verbrechen, sondern die traumatischen Erfahrungen des Verlustes des "Führers" und des narzißtischen Größenselbst des "Ariers", die verdrängt wurden. Aber die Wahrheit hat stets einen schweren Stand, wenn die Erinnerung an die Shoah getilgt werden soll. fhnlich verhält es sich mit der "Kollektivschuld", die Burger als Popanz aufbaut. Die Rede von der "Kollektivschuld" ist integraler Bestandteil des Abwehrdiskurses und erfüllt nur in diesem seine Funktion: Von der Unmöglichkeit einer "Kollektivschuld" wird rasch auf die einer individuellen Schuld und Verantwortung geschlossen. Wenn Burger weiters behauptet, dass "die Nazizeit so versunken (ist) wie Karthago", verschweigt er deren Kontinuität etwa in Form des maßgeblich auf ausgebeuteter Zwangsarbeitskraft und geraubtem jüdischen Eigentum basierenden kollektiven Wohlstandes. Soviel zur materiellen Grundlage des Vergessens. Alles in allem reiht sich der Wendephilosoph mit seinem Postulat des Vergessens endgültig in die sekundäre Volksgemeinschaft ein:"Der Gestus, es solle alles vergeben und vergessen sein, der demjenigen anstünde, dem Unrecht widerfuhr, wird von den Parteigängern derer praktiziert, die es begingen." (T. W. Adorno)