Gegen IWF, WTO & Weltbank - Prager Herbst 2000
Warum und wieso sich tausende Menschen diesen September in Prag versammelten, dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein, dieser Artikel dient lediglich dazu, aus unseren Fehlern die Demonstration betreffend zu lernen und nächstes Mal (und es wird ein nächstes Mal geben) besser vorbereitet und besser koordiniert und dadurch auch verstärkt auftreten zu können.
Informiert und mobilisiert wurde in fast allen Bundesländern, KPÖ, SJ, GPA und Linkswende organisierten Busse oder zumindest größere Gruppen für die Anreise per Zug; was die "Anarchoszene" die Reise nach Prag betreffend im Schilde führte, war allerdings relativ unbekannt: zwar wußten einzelne Leute bzw. Gruppen von anderen, daß sie "vorhaben zu fahren", "daran denken", oder "schon Vorbereitungen treffen", wer aber wann, von wo ... genau aufbrechen würde war ungewiß. Teilweise wurde versucht Leute per Telefon zu erreichen, allerdings mit wenig Erfolg. Daher gab es keine kollektive Anreise, vielmehr begaben sich Kleingruppen auf den Weg nach Prag, was dazu führte, daß einigen DemobesucherInnen (Zahl zwischen offiziell gar keine und 700) die Einreise verweigert wurde (nur nebenbei: die 800 ItalienerInnen, die sich am 25. September solidarisch mit drei von ihnen, denen die Einreise verweigert wurde zeigten und spontan den Grenzübergang Horni Dvoriste besetzten, durften weiterreisen, nachdem sie fast 24 Stunden dort verbracht hatten ...). Und so kam es, daß sich erst in Prag im INPEC-Camp die einzelnen Personen und Grüppchen aus Österreich zufällig in die Arme liefen und irgendwann doch sowas wie eine große Gruppe bildeten (die Idee der Affinity Groups - Bezugsgruppen - sollte auch in Prag angewendet werden). INPEC hatte die Tage zuvor Workshops organisiert u. a. auch mit RednerInnen, die in Seattle dabei waren, Themen wie Demoverhalten, Erste Hilfe, Vorbereitungen Gasangriffe betreffend usw. Nun muß mensch erwähnen, daß kaum jemand die Demoerfahrung besaß, die für die nächsten Tage ausschlaggebend sein würde, d. h. sehr viele von uns hatten weder Schwimmbrillen bzw. Gasmasken noch das nötige Know-How was Angriffe mit Pfefferspray, Pferden. ... betraf. Leute, die schon länger in Prag waren und Workshops besucht hatten, organisierten Essig und Tücher, um wenigstens nicht ganz ungeschützt bei Tränengas zu sein. Der Plan für S26 sah drei Demorouten vor, die alle zum Kongress-Zentrum, in dem sich die Delegierten trafen, führen sollten; den einzelnen Routen waren Farben zugeteilt, und nachdem wir Vor- und Nachteile abgewogen hatten, entschieden wir uns für die blaue (weiters gab es noch gelb, die die Brücke zum Kongress-Center besetzen sollte und rosa, die als die gemäßigte deklariert wurde, was sich im Nachhinein allerdings als falsch herausstellte, da sich diese spaltete und rosa DemonstrantInnen sogar ins Zentrum gelangten). Im INPEC-Camp stand fast kostenlos immer Essen und Trinken zur Verfügung, außerdem wurden noch kurz vor der Schließung des Geländes um 22 Uhr (polizeilich bedingt) alle Demorouten durchgesprochen, und so manch eineR feilte noch an seiner/ihrer "Rüstung" für den "Kampftag" S26: ItalienerInnen und SpanierInnen zeigten besonders viel Phantasie mit ihren weißen Einweganzügen, von oben bis unten ausgepolstert mit Schaumstoff (Bilder siehe bürgerliche Medien). Im Allgemeinen kann mensch sagen, daß die Situation, die die DemonstrantInnen am nächsten Tag erwarten sollte, realistisch geschildert wurde, auch wenn das vielen nicht gerade Mut machte. Treffpunkt am 26.September war der Platz Namesti Miro, von wo auch um 12 Uhr weggegangen wurde; außerdem gab es dort den ganzen Tag über Volxküche, Musik, Erste Hilfe und Informationen. Was als äußerst störend empfunden wurde waren erstens die Helikopter, die ständig über uns kreisten, und zweitens die MedienfritzInnen, die zwar teilweise unabhängig waren und Polizeiübergriffe dokumentieren sollten, allerdings alles und jeden fotographierten, um möglichst viele nette Demofotos zu kriegen. Außerdem waren auch Staatsschutz-Filmer darunter, von den bürgerlichen Hetzmedien-JournalistInnen ganz zu schweigen. "Unsere" österreichische Bezugsgruppe beinhaltete auch Leute mit Erste Hilfe-Erfahrung und -ausrüstung, allerdings, gegen die Vereinbarung zusammen zu bleiben, "verschwand" nach der ersten halben Stunde ein großer Teil irgendwohin an die Spitze des blaue Zuges, der ungefähr aus 2000 bis 3000 Leuten bestand. Bis 150 bis 200 Meter vor dem Kongress-Zentrum verlief noch alles ganz normal, die Demo war laut, nicht nur wegen der Sambagruppe; dann ging es eine leichte Anhöhe hinauf, wo sich das Kongress-Zentrum befindet. Die Bullenkette samt Wasserwerfer im Hintergrund war schon zu sehen, was die Spitze des Demozuges nicht davon abhalten ließ, die ersten Steine und Mollis zu werfen, worauf die Bullen, die, wie viele DemonstantInnen leider nicht, mit dem Vorteil einer Gasmaske ausgerüstet waren, begannen Tränengasgranaten zu zünden. Es soll nun keine Diskussionen angerissen werden über Gewalt gegen Bullen bzw. über sogenannte gute oder schlechte Gewalt, es ist klar, daß die Gewalt vom Staat ausgeht, und die Bullen als Ausführende eben dieser ihren Zweck erfüllen, aber in dieser Situation in Prag war es absolut selbstmörderisch, sich eine Straßenschlacht mit den Bullen zu liefern. Erstens war die Gasse auf genannter Anhöhe und ziemlich schmal, zweitens ein Zusammenhalt der Demo schlicht und einfach nicht gegeben, ein großer Teil davon stand mit offenen Mund unten und glotzte nach oben (und wunderte sich vermutlich, warum es da so krachte und rauchte), ein anderer Teil lief gleich davon, "um zu den anderen Demos zu schauen", und drittens dachten nur wenige daran den Rückweg zu sichern bzw. dauerte es Ewigkeiten, die Leute in fünf verschiedenen Sprachen dazu zu bewegen, sich auf den Boden zu setzen, um eine Sitzblok-kade zu starten, die nebenbei den Zweck gehabt hätte, nicht noch mehr Bullenautos zum Zentrum durchzulassen. Als endlich genug Leute verstanden hatten, wie wichtig es wäre, den Leuten, die oben im Tränengasnebel noch immer versuchten die Bullenblockade zu brechen, den Rückweg zu sichern, war es fast schon zu spät: von oben kamen die Menschen, der Rauch und das Wasser herunter, und die Kreuzung, auf der mittlerweile Leute saßen und eine Blockade gebildet hatten, vor der sich allerdings wieder zu dieser Zeit noch untätige Bullen gesammelt hatten (die unter anderem in den Autos gesessen sind, die vorher ungehindert passieren konnten bzw. sich auch durch einzelne Personen nicht aufhalten ließen, die vor die Autos liefen) wurde zum Ausgangspunkt der zweiten "Front". Denn plötzlich wurden über die friedliche Sitzblockade Steine geschmissen und - obwohl die Hälfte der anwesenden Leute "Stop" brüllten - nicht damit aufgehört. Die Bullen stürmten nach vorne, und nun drängten sie die Masse nicht nur von der Gasse aus zurück, sondern auch noch von der zweiten Seite.
Dazu muß auch erwähnt werden, daß ständig Verletzte von oben kamen, und zeitweise selbst Krankenwägen nicht durchgelassen wurden; von oben ("1. Front") kam der Wasserwerfer herunter, von der anderen Seite ("2. Front") warfen die Bullen wieder Tränengas, und irgendwelche IdiotInnen begannen auch noch auf die weiter entferntern Bullenautos Steine zu werfen ("3. Front"). Das heißt, daß die Demonstration mehr oder weniger eingekesselt war, weil die 4. Straße der Kreuzung nur eine FußgängerInnenunterführung durch einen Bahnübergang darstellte, durch die nun viele Menschen flüchteten. Allerdings dieselbe Situation auf der anderen Seite: anstatt hier Platz zu schaffen für die DemonstrantInnen, die aus dem Tränengasnebel flüchteten, standen fast alle wiederum untätig herum und begafften das Chaos aus sicherer Entfernung über die Geleise. Es dauerte aber nur wenige Minuten, und die Bullen drängten die Menschenmenge über die Schienen und die Straße dahinter hinauf, weiter weg vom Kongress-Zentrum.
Teilweise wurden nun wieder Barrikaden gebaut, die auch einige Zeit hielten, viel an der Situation änderte sich allerdings nicht mehr. Die Hubschrauber kreisten und koordinierten aus der Luft die Bullen; die blaue Demo-Route war gescheitert, und die, die noch die Kraft dazu hatten, lieferten sich noch über zwei Stunden weitere Straßenschlachten. (Um dann später stolz zu erzählen, daß sie so tapfer waren und manch eineR, trotz Kopfverletzung, wieder an die Front zurückkehrte ...)
Allgemeines Chaos herrschte, Leute waren verschwunden, niemand wußte, wo sich einzelne Teile unserer Bezugsgruppe befanden und ob davon Menschen verletzt oder verhaftet wurden. Den anderen Demorouten ging es nicht viel besser, allerdings hielten sie wesentlich länger als die blaue. Die Rosafarbige spaltete sich, Teile davon gelangten sogar ins Kongress-Zentrum, die gelbe saß relativ lange auf der Brücke zum Center, ein Durchkommen zu diesem war aber ebenfalls nicht möglich, da vier Räumungspanzer den Zugang blockierten. Zur Stärkung und Information wurde zum Namesti Miro zurückmarschiert, und von dort aus wieder weggegangen zur Opernhausblockade, wo den Delegierten der Abend versüßt werden sollte, die Vorstellung wurde aber sehr zum Leidwesen der DemonstrantInnen abgesagt, da ein Durchkommen nicht möglich war. Anschließend sollte eine Soli-Demo für die im Laufe des Tages verhafteten DemobesucherInnen auf der Karlsbrücke stattfinden, allerdings herrschte allgemeines Chaos und niemand wußte genauere Informationen. Die Stadt war voller Bullen, und als um ca. 21 Uhr einige Leute beschlossen, den Wenzelsplatz in Schutt und Asche oder besser in Scherben zu legen, was rein taktisch Wahnsinn am ersten von drei Demo-Tagen ist, und auch sonst nicht gerade clever, kam es zu einem Großaufgebot der Polizei.
Die Masse rannte, Tränengasgranaten flogen und allgemeine Panik brach aus. Menschen, die sich zufällig im Kessel befanden, wurden verhaftet, die Helikopter suchten mit Lichtkegel die Straßenschluchten ab, U-Bahnstationen wurden mit Tränengas "ausgeräuchert", um die Delegierten aus dem Konferenz-Zentrum zu bringen, und niemand wußte mehr, wo sich Leute verschanzt hatten.
Wo unsere Affinity Group geblieben war, blieb ein Rätsel, Teile davon liefen hysterisch durch die Stadt und Leute wurden grundlos verhaftet.
Am nächsten Tag fuhren wir ohne gröbere Probleme nach Oberösterreich zurück, kurz vor Wels wurden wir noch von Stapozisten kontrolliert, sonst verlief alles relativ problemlos. Was mit den anderen passiert war erfuhren wir erst mit der Zeit, und die Anzahl der Polizeiübergriffe und die Berichte der Schikanen in den Knästen stehen im Grunde für sich.
Nächstes Mal gemeinsam!