04/2006

Arbeitssplitter

Am 1. Mai 1886 begann in Chicago ein mehrtägiger Streik, um eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit von zwölf auf acht Stunden durchzusetzen. Die mit diesem und den darauf folgenden Tagen verbundenen Ereignisse - zum Gedenken der Opfer des "Haymarket Riot" - begründeten die Tradition den 1. Mai zum "Kampftag der Arbeiterbewegung" zu erklären. 1890 wurde zum ersten Mal der 1. Mai begangen - mit Massenstreiks und Massendemonstrationen.

Seitdem durchlief der 1. Mai eine sowohl inhaltliche als auch rechtliche Achterbahnfahrt, erwähnt sei die zentrale Bedeutung des Tages im Nationalsozialismus als "Tag der nationalen Arbeit". In der Nachkriegszeit bestaunte man/frau im sogenannten "Westen" die Aufmärsche für "Frieden und Sozialismus" in der Sowjetunion und Co, während sich in den aufstrebenden Staaten Westeuropas der 1. Mai zunehmend zum unreflektierten national-patriotischen Feiertag entwickelte. Ein Symbol lahmer Gewerkschaften oder als Präsentation eines "Wirtschaftswunders", dessen Basis - Nationalsozialismus und Vernichtungskrieg - keiner kritischen Behandlung zugeführt wurde.

Diesbezüglich spaziert mensch in Österreich in sozialpartnerschaftlicher Harmonie noch etwas gemächlicher, gilt es doch einen nationalistischen Konsens zu erhalten, in dem keine Rede sein kann von Austrofaschismus, Bürgerkrieg oder österreichischer Beteiligung an Shoa und Massenmord. Themen wie Zwangsarbeit oder Arisierungen, die eventuell Fragezeichen hinter dem am 1. Mai gehuldigten Fetisch Arbeit stellen könnten, werden in diesem Zusammenhang auch eher selten thematisiert.

In Wien lassen sich behäbige PolitikerInnen von SPÖ und Gewerkschaft winkender Weise vom fleißigen Volke feiern - ein kollektives bierseeliges Schwelgen im rot-weiß-roten Dunst. In den weniger urbanen Gebieten "unserer schönen Alpenrepublik" wird der 1. Mai gebührend von der Dorfgemeinschaft bedacht: Trachtenverein und Blasmusik - marschieren zum Tag der Arbeit.

Dort wie da stand stets der Arbeitsfetisch - je härter desto besser - und das dankbare Verhältnis zu Vater SPÖ und Bruder ÖGB im Zentrum der Feierei. Für freiwillig oder unfreiwillig Erwerbslose, für Marginalisierte und weitgehend auch für Frauen in Reproduktionsarbeit war (und ist) am 1. Mai nichts zu holen.

Leben um zu Arbeiten? Arbeiten um zu leben?

Von klein auf werden wir auf Arbeit gedrillt - Arbeit als zentrales Element unseres Lebens. Welches Kind muss nicht die ständige Frage über sich ergehen lassen: "Na, und was magst du mal werden wenn du groß bist?" Wehe dem Kind wenn es nicht die "richtige" Antwort parat hat, denn was zählt, sind nicht Spaß und Interesse, sondern erdige Arbeitswerte - die Verwertbarkeit des Subjekts steht im Vordergrund. Dem Arbeitsfetisch werden unzählige Volksweisheiten zur Seite gestellt: "Arbeit schändet nicht", "Wer rastet rostet", "Arbeit edelt", "Arbeit hält jung" oder "Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen" sind Sprüche die von klein auf eingetrichtert werden. Das alles, so scheint es oft, um ja nicht in die Versuchung zu kommen, das auszusprechen, was wohl jedem und jeder schon öfter mal in den Kopf gekommen ist: Dass Arbeit schlicht Scheiße ist.

Aber genau das ist sie: Schon alleine dieses absurde Idee so früh wie möglich - noch als JugendlicheR - mit irgendeiner Lohnarbeit beginnen zu müssen - und dann durchgehend bis zur "Pension" zu arbeiten. Ein echtes Scheiß-Konzept! Diese fast schon religiöse Heilserwartung an ein Leben im Paradies - im Arbeitszusammenhang gerne "Pension" genannt, in der ja dann schließlich alles besser wird - ist vollkommen absurd - denn wir leben jetzt und hier! Wir sind der Meinung: wir leben nicht um zu arbeiten und wir sollten auch alle nicht arbeiten müssen um leben zu können! Wir wollen unser Leben genießen und Spaß haben! - Hier und jetzt, und nicht erst, wenn wir uns nach Jahrzehnten der brav dienenden Arbeit nicht mehr richtig bewegen können.

Ein schönes Leben?

Doch gemeinhin gilt: Wer in keinem Lohnarbeitsverhältnis steht, soll auch kein schönes Leben haben! Zwang, Mangel und Willkür stehen denen gut an, die in einer imaginierten Gemeinschaft nicht spuren. "Sozialschmarotzer" werden oft jene tituliert die keine Arbeit ihr Eigen nennen können oder wollen. Gerne verknüpft der hiesige Hofverstand das sogenannte "Sozialschmarotzertum" auch mit plumpem Rassismus: Für die einen sind es die "arbeitslosen Ausländer" - der Besitz eines österreichischen Reisepasses hilft gegen diese Stigmatisierung hierzuland ja nichts bis gar nichts - die "uns" auf der Tasche liegen und am besten umgehend einer "Abschiebung" zugeführt werden sollen. Für die anderen sind es "die Ausländer", die "uns" die Arbeitsplätze wegnehmen. Oder auch beides, denn für Herr und Frau ÖsterreicherIn sind es "die Fremden" (bzw. "das Abstrakte"), die eine überschaubare Arbeitslandschaft - mit dem Schweiß und Blut der Nachkriegszeit erbaut - zerstört haben.

Menschen ohne Arbeit sind weniger wert - das lässt einen/r schon alleine das sogenannte "Arbeitsmarkt Service" spüren - und manche "Ausbildungsmaßnahmen" muten wie Resozialisierungsprojekte an. Wer keine Arbeit hat, muss bittstellen gehen, den Kopf schön gesenkt halten und ja nicht seine Meinung sagen. Wer kein Geld nach Hause bringt, soll die Pappn halten - so offensichtlich die patriarchale Logik. Der Zwangscharakter von Erwerbsarbeit (Lohnarbeit) war seit dem Einkehrschwung der ArbeiterInnenbewegung in Nation und Patriotismus (Nationalismus, Heimatliebe) kein Thema. In regelmäßigen Abständen fordern österreichische Parteien "Arbeit für alle", ohne die nahe liegende stupide Verkürzung von Arbeit auf Lohnarbeit als Problem zu sehen. Derartige Forderungen kommen an, in einem Land, in dem "Faulheit" verpönt und die Lust am Abstrakten und ein lustvolles Leben per se verdächtig ist.

Die Arbeit bleibt hart

Während die Arbeitslosigkeit steigt, versuchen uns Wirtschaft, Industrie und Parteipolitik einzureden, dass, um diese "Krise" zu überwinden, "der Einzelne nun härter, mehr und länger arbeiten müsse" - natürlich das ganze auch bei weniger Lohn. Die Angst, arbeitslos zu werden, verhandelt auf Seiten der UnternehmerInnen mit - denn wer arbeitslos wird, muss um seine Existenz fürchten, und wer das tut oder tun muss, nimmt auch die arbeitsrechtlichen und finanziellen Verschlechterungen leichter in Kauf.

Besonders schlecht dran sind aber jene, die keinerlei Absicherungen haben - die im Falle einer Krankheit kein Geld bekommen, die sich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben können und die keinen Kündigungsschutz haben. Menschen, die in "freien"-Dienstverträgen ihr Auskommen fristen, Scheinselbstständige oder unbezahlte PraktikantInnen, denen klargemacht wird, ohne ein solches (Gratis-) Praktikum im Lebenslauf keine Aussicht auf einen Job zu haben, sind gewerkschaftlich nicht bedacht. Und wo vom Arbeitergeber (im Trommelfeuer des Systemrauschens) dem/der freien DienstnehmerIn beigebracht wird, ziemlich ersetzbar zu sein, und man/frau sich klar darüber sein sollte, dass ein Dienstgeber eben kein Sozialverein sein könne, dort dürfen die ach so freien und flexiblen DienstnehmerInnen dann auch noch disziplinierende (freie) Arbeitsverträge unterschreiben: Pünktlichkeit, Sauberkeit, Verzicht auf Lohn, wenn die Kundschaft ausbleibt, Kontrollen während der Arbeit, etc..., schöner neuer Postfordismus. Bei Krankheit bekommt mensch immer noch keine Knödel und ein schlechtes Gewissen dazu, weil im "Team" jemand fehlt, den Ersatz müsste man/frau sich im Krankenbett noch selbst organisieren.

Dass jahrzehntelang ganz selbstverständlich Frauen, illegalisierte MigrantInnen, Sexarbeiterinnen oder ZeitungskolporteurInnen in gleichen Arbeitsverhältnissen ihr Auskommen such(t)en, wird weitgehend vergessen. Mit jenen, die keinerlei Möglichkeit haben, zum Beispiel ihren Lohn einzufordern, kann umgesprungen werden, wie es den "Arbeit"geberInnen beliebt - sie stehen in der Arbeitshackordnung ganz unten und haben kaum eine Möglichkeit, gegen die Ausbeutung vorzugehen.

Gerade über die Ausweitung der sogenannten prekären Arbeitsverhältnisse und Lebensverhältnisse auf einen bis dahin kaum betroffenen weißen männlichen Mittelstand, hat sich eine Diskussion entwickelt, in deren Mittelpunkt "der/die Prekäre", die entsprechenden Arbeitsverhältnisse / sehr persönlichen Arbeitserfahrungen bzw. die politischen Möglichkeiten von Vernetzung und Protest stehen. Eigene politische Identitäten erwachsen seitdem - mehr oder weniger verknüpft mit Kapitalismuskritik - rund um und aus dem Prekariat. Eine Tendenz, die eigene prekäre Jobsituation ästhetisch oder politisch zu verklären, ist aber gerade im Felde der KulturarbeiterInnen nicht selten. Erfolg und Achtung hängen dann eben an den zwei/drei Jobs plus Projektarbeit. Und irgendwie kann mensch sich die eigenen Arbeitsverhältnisse im schnellen Small-Talk auch witzig reden. Faulheit und Müßigang fallen auch hier unangenehm auf. Schließlich gilt es, "als Kriegsmaschine", als "Multitude" oder einfach als junge/r flotter informierter Mensch auf den Wellen eines sich stets wandelnden Kapitalismus zu reiten.

Freilich ist es im aktuellen Kapitalismus zunehmend schlicht unmöglich, ein Leben ohne Erwerbsarbeit zu führen. Wir alle haben unterschiedliche Ausgangspositionen, denn es ist nun mal in dieser Gesellschaft entscheidend, welchen Pass mensch besitzt, welche Versorgungspflichten zu erfüllen sind, oder in welchem (Nicht-) Arbeitsverhältnis mensch sich befindet. Klar muss sein, dass niemand außerhalb des kapitalistischen Systems arbeitet und lebt, Freiräume nur temporär und im Diskurs und nicht als verklärtes Idyll abgesteckt werden können.

Es lohnt sich zu kämpfen - jeden Tag!
Denn wir wollen leben - ohne Arbeitszwang!

{rosa antifa wien}