Armut ist kein Schicksal
Alle Jahre wieder findet der "traditionsreiche" Opernball in der Wiener Staatsoper statt. Ein Event der "Schönen und Reichen". Des "Who Is Who" aus Politik und "High Society" - die zur Schau stellen, was sie nicht alles haben und wie bedeutend sie vermeintlich sind. Und während sie das tun, begleitet von eifrigen MedienvertreterInnen, gibt es in Österreich noch immer - und es werden stetig mehr - Menschen, die nicht genügend zu Essen haben. Menschen, die sich keine (ausreichende) Heizung leisten können. Menschen die kein Dach über dem Kopf haben. Der Opernball ist nur einer von vielen Bällen, und auch sicher nicht der einzige Termin im Jahr an dem einzelne in wenigen Stunden mehr Geld ausgeben als vielen anderen monatlich zur Verfügung steht, aber er ist ein mediales Grossereignis, in dem gezeigt wird: "Wir habens und Ihr nicht!" Eine Verhöhnung jener, die tagtäglich versuchen, mit dem wenigen, was sie haben, über die Runden zu kommen. Und gerade deshalb ist es so zynisch. Dies soll kein Appell an den Neid sein, sondern vielmehr die Frage stellen, warum so wenige so viel haben, und so viele so wenig. Und es scheint sich niemand daran zu stören. Da gaffen Hunderttausende in den Fernseher, um das Gefühl zu haben, dabei zu sein. Und keine/r empfindet Abscheu dabei, dass solche gesellschaftlichen Ungleichheiten so offen abgefeiert werden. Nein, Abscheu zeigt der Durchschnittsmensch nur vor denen, die nichts besitzen. Und davon soll folgender Text handeln.
Eben jene Abscheu vor den Obdachlosen hat der Durchschnittsmensch, wenn sich die Armut öffentlich zeigt. Menschen, die um ein paar Cent bitten, werden nicht nur ignoriert oder beschimpft, sondern manchmal gar tätlich angegriffen. Gerne wird dann behauptet, etwaige Spenden würden doch nur für Alkohol und andere Drogen ausgegeben - eine bequeme Ausrede, um sich nicht mit der Situation der Betroffenen auseinander setzen zu müssen. Weil es eben keine/r wissen will. Und daher ist es doch am einfachsten, die Armut unsichtbar zu machen. So trägt auch die ÖBB dem Wunsch nach der Ellbogengesellschaft Rechnung. Auf den grossen Bahnhöfen werden eigene Securitys auf Streife geschickt, um jene, die man als "Nicht-Reisende" identifiziert zu haben meint, rauszuwerfen. Egal wie kalt es gerade ist. Wenn die Armen nicht ins Bild passen, wird schon mal ein Kältetod in Kauf genommen.
Und liegt dies nicht auch an uns allen? Wenn in U-Bahnstationen und Bahnhöfen Sitzbänke entfernt werden, damit nur ja keineR drauf schlafen kann, kostet uns das scheinbar gerne ein paar Minuten Bequemlichkeit - Hauptsache die Obdachlosen verschwinden. Dass die öffentlichen Toiletten in so mancher U-Bahn-Station nur mit einem bei der Stationsaufsicht erhältlichen Schlüssel betretbar sind, wird gerne in Kauf genommen - so lang nur alles "schön sauber" und von unerwünschten Personen frei ist.
So werden dann Obdachlose der letzten Ruhe und Aufwärmmöglichkeit beraubt, durch die Stadt getrieben und Kälte, sozialer Isolation und anderen Alltagsbedrohungen ausgesetzt. Dass sich SandlerInnen in Gruppen an öffentlichen Orten aufhalten, dient eben dem sozialen Zusammenhalt. Sonst spricht ja niemand mit Ihnen. Und die Verdrängung von öffentlichen Plätzen birgt eben die Gefahr, auch einmal unerkannt körperlich attackiert zu werden. Aber unserer Hochleistungsgesellschaft ist es egal, weil:
Selber schuld?
Es gibt in Wien nach offiziellen Schätzungen ca. 5.000 obdachlose Menschen. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen - Tendenz steigend. Mit Obdachlosigkeit beginnt ein Teufelskreis, aus dem es kaum mehr ein Entrinnen gibt. Keine Wohnung bedeutet keinen Job zu bekommen! Denn ohne halbwegs geordnetes Leben kann man/frau nahezu unmöglich einer regelmäßigen Arbeit nachgehen, sollte man/frau überhaupt als Obdachlose/r eine Anstellung finden. Und ohne Arbeit - in dieser Gesellschaft die einem unfassbaren Arbeitsfetisch fröhnt - ist mensch schnell das letzte, wird schief angeschaut, gilt als "SchmarotzerIn", hat mit diversen Vorurteilen zu kämpfen - ist kurz: nichts wert. Wie überall schlägt auch hier der Rassismus zu. Menschen ohne österreichischen Pass sind dank rassistischer Gesetze, die ihnen den Aufenthalt oder das Arbeiten verbieten, noch schlechter dran und haben kaum Chancen sozial aufgefangen zu werden. Die wenigen Sozial"leistungen", die es gibt, sind primär den "ÖsterreicherInnen" vorbehalten.
Es wird, so "gut" es nur geht, nach unten getreten: Die Hetze gegen Menschen, die von Armut und/oder Obdachlosigkeit betroffen sind, kennt keine Grenzen! Obdachlose Menschen, die nicht "österreichisch" genug aussehen, sollen abgeschoben werden, dies fordern und setzen KroneÖVPBZÖFPÖSPÖ um. "Wir Säubern" ist das Motto, das Stadtbild muss ja "sauber" sein und so sollen "BettlerInnen" und Obdachlose verschwinden - einfach raus aus der Stadt. Am besten in Luft auflösen, oder was? Was soll das heissen? "Wir" - die "Fleissigen und Anständigen" - gegen "Die". Die, die selber schuld sind, dass sie nichts haben? Menschen werden als "Dreck" bezeichnet! "Dreck" ist bekanntlich nichts wert - und "Dreck" hat bekanntlich keine Rechte - und so ist es nicht verwunderlich wenn Obdachlose verprügelt und ermordet werden. Von der Politik und der Gesellschaft der Menschlichkeit beraubt.
Das soziale "Netz"
Viele haben aber gar keine Chance auf Sozialhilfe. Zwar können theoretisch auch Nicht-EU-BürgerInnen diese beantragen, da aber die Aufenthaltsberechtigung mit dem Nachweis der Bestreitung des Lebensunterhaltes verbunden ist, droht in diesem Fall die Abschiebung. Das heißt: Im Herkunftsland weiterhungern oder hier durch die Finger schauen. Und wer einmal auf einem Sozialamt war, weiß dass es dort kein Zuckerschlecken ist. Neben andauernden Schikanen (ReferentInnen zögern die Auszahlungen mit immer neuen Begründungen hinaus) werden bedürftige Menschen dort wie BittstellerInnen behandelt. So als ob es das Geld der ReferentInnen selbst wäre! Verständlich, wenn viele wegen der dort erlittenen Demütigungen nicht mehr hingehen. Viele sozial Bedürftige wissen nicht einmal, dass sie Anspruch auf Sozialhilfe haben. Und der Gemeinde Wien ist das nur recht - so wird gespart. Soziale Einrichtungen wie Notquartiere und Waschmöglichkeiten gibt es in der "Weltstadt Wien" ohnehin kaum. Da springen dann eher schon private Hilfsorganisation wie die Caritas ein. Aber auch hier gibt es Missstände. Menschen mit anderer Hautfarbe werden oft nicht betreut, eine warme Mahlzeit ist häufig mit Gebetszwang verbunden. Wieviel Demütigung müssen Menschen eigentlich noch hinnehmen?
Aber auch das soziale Klima ist verantwortlich
Seit Jahren zeigen sich starke Entsolidarisierungstendenzen, die sich nicht zuletzt darin zeigen, dass sich Parteien, die "eine harte Linie" oder "repressive Politik" versprechen, vieler WählerInnen erfreuen dürfen. Nicht mehr das Gemeinwesen soll sich demnach um soziale Härtefälle kümmern, sondern der/die Einzelne soll von der Gnade der anderen abhängig sein. Wie es damit aussieht, lässt sich ohnehin daran erkennen, wie respektlos bedürftige Menschen behandelt werden. Der Wille zur kollektiven Verantwortung für alle ist offenbar nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen wird unverhohlen Hetze gegen Menschen ohne Obdach oder jene, die auf der Strasse nach Geld fragen, betrieben. "Sauber" muss sie sein die Stadt - der "Dreck" muss raus, ginge es nach FPÖ, BZÖ und Konsorten. Mit Dreck sind freilich Menschen gemeint - jene, die nichts haben und somit auch in den Augen vieler nichts wert sind ...
Solidarität ist gefordert!
Wir wissen natürlich, dass diese Gesellschaft immer wieder ihre Opfer fordert. Und trotzdem gab es hier eine zeitlang ein soziales Netz, um das Schlimmste abzufedern. Doch die Maschen im Netz wurden und werden immer mehr gelockert. Weil wir uns das angeblich nicht leisten können. In einem der reichsten Länder der Welt! Absurd. Und um nicht selbst "abzustürzen", wird so gut wie alles geschluckt. Da wird akzeptiert, dass bei steigenden Abgaben das Leben noch teurer wird, sprich: Reallöhne sinken. Und doch: Menschen in prekären Beschäftigungen werden immer mehr. Kaputthackeln für Scheiss-Löhne und schlechte soziale Absicherung. Wenn mensch nur brav noch mehr schuftet als zuvor, wird schon nix passieren, so die trügerische Hoffnung.
Wer dann doch mal keinen Job hat, dem werden immer schneller Zwangs"massnahmen" aufgebrummt. Mehr Druck, weniger Rechte - wer nicht arbeitet wird bestraft, oder zumindest scheisse behandelt. Und mit stiller Verzweiflung wird's hingenommen, weil das soziale Netz vielleicht nicht halten könnte. Und gerade jene, die sich eben so noch durchwurschteln, zeigen dann mit den Fingern auf die, die noch weit ärmer dran sind. Weil in dieser Ellbogengesellschaft Solidarität nichts zählt. Weil doch alle froh sind, wenn BettlerInnen von der Polizei entfernt werden. Obrigkeitsdenken und Ausbeutung gehen immer Hand in Hand. Nur weil es Arme als Warnung für die Gefahr des eigenen Absturzes gibt, lassen sich alle immer mehr gefallen. Und doch droht der Absturz. Niemand sollte sich in Sicherheit wähnen. Die Kosten für Lebensmittel - und zwar der Grundnahrungsmittel - steigen, die Strom- und Gaspreise schrauben sich kontinuierlich in die Höhe, Miet- und Betriebskosten steigen und steigen. Wie lange noch bis Wohnen, Heizen oder Essen für uns nicht mehr erschwinglich sind? Niemand hätte all dies vor Jahren vorausgesehen. Und doch zeichnet sich zunehmende Verarmung auch hier ab.
Aber anstatt, dass man/frau sich gegen die herrschenden Zustände auflehnt und für die Bedürftigen einsetzt, wird auf diese auch noch gespuckt. Und solange alle nur zusehen, und nichts gemeinsam dagegen unternehmen, wird sich nichts ändern. Der Anfang zu einer Gesellschaft ohne Angst und Armut beginnt bei der Solidarität von uns allen! Als ersten Schritt zu einer Welt ohne Herrschaft!
Es kann nicht sein, dass unzählige Büros, Wohnungen oder gar ganze Häuser leer stehen - während Menschen auf der Strasse leben müssen!
Es kann nicht sein, dass einige wenige unfassbare Vermögen ihr "Eigen" nennen können - während andere nicht wissen, wie sie die fällige Miete oder Stromrechnung bezahlen sollen!