Österreichische Zustände
Wer leichtfertig geglaubt hat, mit Jörg Haiders tödlichem Autounfall sei die Thematik des Rechtsextremismus in Österreich einem finalen Crash zugeführt worden, der sei ein etwas genauerer Blick angeraten. Gerade in den letzten Monaten zeigt sich wieder einmal deutlich, welch tief sitzendes strukturelles Problem es in diesem Land mit antisemitischen und rassistischen Ressentiments gibt. Die Stilisierung Österreichs als erstes Opfer des Nationalsozialismus soll über die entscheidende Mittäter_innenschaft der Österreicher_innen hinwegtäuschen. Von dieser noch immer tief verankerten Legende getragen manifestiert sich der Rechtsextremismus wieder zunehmend offen - und trifft dabei auf eine Gesellschaft, die Antifaschismus nicht für eine essentielle Grundhaltung sondern für eine stete Belästigung hält.
Für die meiste internationale Aufmerksamkeit hat dabei wohl der Überfall auf Überlebende des Nationalsozialismus im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten im ehemaligen Konzentrationslager Ebensee gesorgt. Von fünf oberösterreichischen Jugendlichen wurden die Teilnehmer_innen des Gedenkens nicht nur mit "Sieg Heil"-Rufen bedacht, die vermummten Neonazis schreckten nicht einmal davor zurück mit der Attrappe eines Maschinengewehrs Plastikkugeln auf die Überlebenden des Nazi-Terrors abzufeuern.
Angesichts der internationalen Empörung und dem daraus resultierenden Medieninteresse folgte pflichtbewusst die offizielle Verurteilung der Attacke – was sich in den Tagen darauf in der österreichischen Innenpolitik abspielte, zeichnet jedoch ein mindestens so verheerendes wie aussagekräftiges Bild der Situation im Land. Da gibt es zunächst mit Maria Fekter von der rechts-konservativen ÖVP, eine Innenministerin, die es sich schon in ihrer ersten Wortmeldung zum Fall Ebensee nicht verkneifen konnte, wörtlich einen Anstieg der "gegenseitigen Provokationen" zu attestieren. Eine an Zynismus kaum mehr zu überbietende Bemerkung, mit der sie indirekt die Opfer der Attacke zu Mittäter_innen machte, und mit der sie in so manchem anderen Land wohl rücktrittsreif gewesen wäre. Doch nicht in Österreich: Fekter reagierte auf entsprechende Vorhalte sichtlich verärgert, sie habe lediglich eine allgemeine Lageeinschätzung zu Links und Rechts in Österreich geben wollen. Dass sie damit weiterhin die Gegner_innen des Faschismus für dessen Existenz mitverantwortlich macht, ist eine Perfidie, die ihr offenbar keinerlei Problem bereitet.
Damit ist in Österreich allerdings noch längst nicht die letzte Stufe der Verharmlosungspolitik erreicht, immerhin gibt es in diesem Land nicht weniger als zwei der extremen Rechten zuzuordnende Parlamentsparteien, allen voran die sich unter der Führung von Heinz-Christian Strache zunehmend offen rechtsextrem gebende FPÖ. Ausgerechnet jene Partei, die sonst gern ihr Law-&-Order-Image pflegt und schon bei der kleinsten Gesetzesübertretung die Abschiebung von Migrant_innen - am "besten" gleich samt Familie - fordert, plädiert hier plötzlich für Milde. Unter dem Jubel des Parteivolks erblödete sich Strache nicht, die Naziattacke auf Überlebende als "dummen Lausbubenstreich" abzutun. Bezeichnend für die Unverfrorenheit, mit der die FPÖ mittlerweile ihre wahre Gesinnung nach außen trägt, ist auch der Umstand, dass eine österreichische Neonaziseite wenige Tage zuvor praktisch wörtlich die selbe Formulierung gefunden hatte.
Doch was wundern solche "Zufälligkeiten" angesichts der persönlichen Vorgeschichte des Parteivorsitzenden, konnte Strache doch in jüngeren Jahren selbst immer wieder einschlägige Luft schnuppern. Nicht nur, dass er sich jahrelang im Umfeld des Südtirol-Terroristen und bekannten österreichischen Rechtsextremisten Norbert Burger bewegte – Strache musste mittlerweile eingestehen, dass er an "Wehrsport-ähnlichen" Übungen teilgenommen hatte, an denen auch Kader der – später behördlich aufgelösten – neonazistischen Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) beteiligt waren. Diese Enthüllung hatte ebenso wenig eine negative Auswirkung auf seine politische Karriere wie der Umstand, dass er eben jene Aktivitäten noch einige Monate zuvor erbittert geleugnet – und somit ganz offen gelogen hatte. Am Rande sei dabei auch erwähnt, dass es aus dieser Zeit von Strache ein Foto im Military-Look gibt, auf dem er neben einer schwarzen Sturmhaube auch ein - seiner Aussagen nach nicht echtes - Sturmgewehr in Händen hält, eine Inszenierung, die frappant an ein Bild vom Naziüberfall in Ebensee erinnert. Und auch wenn es wohl verwegen wäre, hier einen direkten kausalen Zusammenhang herzustellen, so ist doch unübersehbar, wie durch die konsequente Verharmlosung von FPÖ und Konsorten derzeit die letzten Barrieren gegenüber dem Neonazismus eingerissen werden.
Eine Enttabuisierung, die die FPÖ jedoch nicht nur auf verbaler sondern auch auf ganz praktischer Ebene betreibt. Die zunehmend stärker werdende Präsenz von militanten Neonazigruppen auf mit der FPÖ assoziierten Veranstaltungen ist derzeit kaum zu übersehen. Ein eindringliches Beispiel dafür lieferte im vergangenen Mai eine durch und durch rassistisch motivierte Demonstration gegen den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums. Neben FPÖ-Granden marschierten hier wieder zahlreiche bekannte Neonazis mit, von Nazi-Skins bis zu "Autonomen Nationalisten" reichte die Band"breite". Auf den Umstand angesprochen, dass die Neonazis schon im Vorfeld für die Demonstration mobilisierten, antwortete die FPÖ mit ihrer gewohnten Gemengelage aus Verharmlosung und Denunziation: Es sei zu befürchten, dass sich "Linksextremisten" einschleichen, um mit Nazi-Parolen die FPÖ anzuschwärzen, ließ Generalsekretär Harald Vilimsky schon vorab pro forma ausrichten. Eine Linie, die bestens zu der üblichen Herangehensweise der FPÖ in dieser Causa passt: Neonazis gibt es schlichtweg keine. Eine selektive Blindheit, die wohl auch im Umgang mit der Parteijugend recht nützlich ist, ist dort doch das personelle Naheverhältnis mancher Aktivist_innen zum außerparlamentarischen Rechtsextremismus am augenscheinlichsten. Die Nazis, das sind die anderen – eine seit Jahrzehnten in rechtsextremen Zusammenhängen gepflegte Strategie, die auch FPÖ-Anführer Strache nur all zu gut verinnerlicht hat. So bezeichnete er die Gegendemonstrant_innen zum rassistischen "Anti-Moschee"-Spuk wörtlich als "linke Nazis". Dass es sich beim Begriff "Nazi" also fortan um eine Bezeichnung für Antifaschist_innen handeln solle, scheint sich aber noch nicht so ganz unter den Bündnispartner_innen der FPÖ herumgesprochen zu haben: Die Sprecherin der "Anti-Moschee"-Initiative konnte es sich in ihrer Abschlussrede auf der rassistischen Demonstration nicht verkneifen, die Bemerkung fallen zu lassen, dass sie angesichts der Kritik im Vorfeld den Begriff Nazi "schon langsam als Ehrentitel" sehe.
Eine Verharmlosungsstrategie, die bei der aktuellen Verfasstheit der FPÖ kaum mehr Verwunderung hervorruft, zunehmend treten in Aussagen und Taten der Partei die rechtsextremen Ideologien unverblümt zum Vorschein. Geradezu ein Paradebeispiel für diese Entwicklung ist Martin Graf: Der deutschnationale Burschenschafter aus der - in den Sechziger-Jahren nach der Involvierung einiger "Burschen" in den Südtirol-Terrorismus aufgelösten und später neu gegründeten - Wiener Verbindung "Olympia" hat es mit Unterstützung von Sozialdemokrat_innen und Konservativen mittlerweile zum Dritten Nationalratspräsidenten geschafft, rein formell eines der höchsten Ämter der Republik. Da half auch nicht, dass Graf nie einen sonderlichen Hehl daraus gemacht hat, welcher Gesinnung er anhängt - und dies auch weiterhin nicht zu ändern gedenkt. So hat er sich nicht nur zwei Mitarbeiter ins Haus geholt, die recht schnell aufgrund von Medienberichten über die Bestellung einschlägiger Materialien beim neonazistischen Aufruhr-Versand einen unrühmlichen Bekanntheitsgrad erreichten, auch in seinen Aussagen bleibt er sich selbst treu: Mitten im EU-Wahlkampf ließ er es sich nicht nehmen, recht unverblümt dem Antisemitismus zu frönen, als er den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, wörtlich als "Ziehvater des antifaschistischen Linksterrorismus" titulierte. Eine Aussage, die bestens zu Werbekampagnen der Partei passt, dort positioniert mensch sich nämlich schon mal gern in ganzseitigen Zeitungsanzeigen als Bollwerk gegen einen EU-Beitritt Israels. Als verklausuliert kann ein solches Aufrufen von antisemitischen Ressentiments angesichts dessen, dass ein solcher Schritt nicht einmal entfernt zur Diskussion steht, wohl kaum mehr bezeichnet werden.
Ganz im Gegenteil spielt die FPÖ immer offener mit Symbolik aus dem Neonazi-Milieu. So hat die Partei zur EU-Wahl einen "Comic" herausgegeben, der an eine halbe Million Jungwähler_innen verschickt wurde. Ein Machwerk, das wohl nicht nur in so manchem Land aufgrund seiner recht wilden Mischung aus Rassismus, Antisemitismus und Sexismus den Strafbestand der Verhetzung erfüllen würde, sondern auch sonst Einschlägiges zu "bieten" hat. So posiert darin Strache gleich mehrfach mit dem in der deutschsprachigen Neonaziszene in Abwandlung des Hitler-Grußes entstandenen Kühnen-Gruß. Zur Erklärung: Strache sah sich vor einigen Monaten mit Fotos aus seiner Vergangenheit konfrontiert, auf denen er beim Zeigen des Kühnen-Grußes erkennbar war, ein Vorwurf, auf den Strache bis heute mit Empörung reagiert, habe er doch lediglich "drei Bier" bestellt. Dass an mehreren Stellen im Comic auch SS-Runen vorkommen, ist da schon nicht mehr weiter verwunderlich. Wirklich fassbare Konsequenzen haben all diese Dinge für die FPÖ bislang übrigens keine, sogar Graf kann seiner Tätigkeit als dritter Nationalratspräsident ungestört weiter nachgehen. Selbst dass er seine Position immer wieder dazu ausnutzt, klassisch rechtsextreme Positionen in die politische Diskussion zu bringen, etwa in dem er mal so ganz nebenbei die Grenzen Italiens in Frage stellt und die angebliche Zugehörigkeit von "Südtirol" zu Österreich betont, konnte die Regierungsparteien bisher nicht zu einer politischen Verabschiedung von Graf aus dem symbolträchtigen Amt bringen.
Der Ablauf ist immer der Gleiche: Es folgt eine mehr oder minder empörte Diskussion über die Aussagen Grafs, nur um dem keinerlei Taten folgen zu lassen, aber ganz, ganz sicher Konsequenzen für das nächste Mal anzudrohen. Eine kontinuierliche Chance für einen Unverbesserlichen. Irgendwie bezeichnend, an welchen Punkten Politiker_innen, die sich sonst - etwa in Migrationsfragen - ihrer konsequenten Härte rühmen, ihre Toleranz entdecken. Von seinen zwei Mitarbeitern hat sich Graf übrigens zwischenzeitlich dann doch getrennt, die öffentliche Optik war wohl gar schief geworden, sie wurden Anfang Juli 2009 auf Versorgungsposten in die Privatwirtschaft weggelobt. Einer davon schaffte es aber immerhin noch, einen standesgemäßen Abgang hinzulegen: Wenige Tage vor dem offiziellen Ende seiner Tätigkeit bei Graf, beteiligte er sich an einem Angriff auf einen antifaschistischen Rundgang. Immerhin dachte er dieses mal daran sich zu vermummen, um "unnötige" Aufmerksamkeit zu vermeiden. Genutzt hat das freilich nichts, wurde er doch wenige Straßen weiter aufgehalten und identifiziert. Die Maskierung - in Form eines frappant an Hitler erinnernden Smilies - noch in der Hand.
Da kann es dann nicht verwundern, dass sich durch solch offensiv rechtsextremes Treiben auch die "Straße" zunehmend angespornt fühlt: "Sieg Heil"-Rufe und Hitler-Grüße gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire bei öffentlichen FPÖ-Veranstaltungen, ein Umstand, den die Partei selbst dann leugnet, wenn sie mit eindeutigen Bildbeweisen konfrontiert wird. Und wenn gar nichts mehr geht, wird halt die in solchen Kreisen so gern gepflegte Verschwörungstheorie bemüht: Alles "linke Provokateure", die dem Ansehen der eigenen Partei schaden wollen, so die argumentatorische Notfalls-Linie. Mittlerweile bleibt es aber auch nicht mehr bei solchen ideologischen Grundsatzbekundungen, im Gefolge des FPÖ-EU-Wahlkampfabschlusses in Wien versuchten rund 50 Neonazis, die gerade noch gebannt den Worten von Parteichef Strache gelauscht hatten, unter "Ausländer raus"-Rufen ein linkes Nachbarschaftsfest zu überfallen und attackierten im Umfeld von ihnen als Migrant_innen identifizierte Personen.
Dass die Polizei in diesem einen Fall gegen die Neonazis vorgegangen ist, stellt eher Ausnahme denn Regel dar, sehen die Behörden dem rechtsextremen Treiben doch meist eher desinteressiert zu oder ermöglichen gar den ungestörten Ablauf. Beispielhaft ist hier der alljährliche Aufmarsch der deutschnationalen Burschenschafter am 8. Mai - dem Tag der Befreiung vom Nationalisozialismus, den die rechtsextreme Szene ganz offen als "Tag der Niederlage" begeht und der auch heuer wieder durch weiträumige Polizeiabsperrungen ermöglicht wurde.
Ein Klima, in dem dann noch immer das gilt, was dieses Land schon seit so langem begleitet: Eine Kultur des Ignorierens von bzw. der klammheimlichen Zustimmung zu antisemitischen und rassistischen Aktivitäten. Eine Situation in der nicht jene, die rechtsextreme Positionen vertreten, als Problem wahrgenommen werden, sondern jene, die solche Vorgänge öffentlich machen.