Solidarität mit den russischen AntifaschistInnen!
Flugblatt in einer zweiten, aktualisierten Version.
In den letzten Jahren hat in Russland die Zahl der Morde durch militante Neonazis erheblich zugenommen. Sowohl MigrantInnen als auch AntifaschistInnen sehen sich mit einer zunehmenden Gefährdung ihres Lebens durch Nazi-Skins und Co. konfrontiert. All dies vor dem Hintergrund eines Staates, der dem Treiben der Neonazi-Szene weitgehend untätig zusieht, und alle Gewalttaten mit einschlägigem Hintergrund als "Hooliganismus" abtut. Doch es geht noch schlimmer: Mittels eines Extremismus-Gesetzes geht man genau gegen diejenigen vor, die aktiv antifaschistisch tätig sind.
Dabei ist aktiver Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse nötiger denn je: Im Jahr 2007 gab es in Russland alleine bis November zumindest 55 Morde mit rassistischem und neonazistischem Hintergrund. Eine offizielle Statistik zu diesen Vorfällen gibt es nicht, die Zahlen müssen also vom antirassistischen SOVA Center aus Medienberichten zusammengestellt werden, tatsächlich dürfte diese Zahl also noch höher liegen. Eine Abnahme der Nazi-Attacken ist dabei bisher nicht festzustellen, ganz im Gegenteil: Alleine in den ersten beiden Monaten 2008 kamen in Russland zumindest 36 Personen bei rassistisch motivierten Überfällen ums Leben.
Zum Angriffsziel kann dabei jedeR werden der/die ins Feindschema der Neonazis passt: Dies betrifft vor allem Personen, die Rechtsextreme als "nicht-slawisch" identifizieren. Aber auch alle, die nicht ins extrem nationalistische Gesellschaftsbild passen: So wurde im November 2005 der Musiker und Antifaschist Timur Kacharava bei einer Essensausgabe von Food not Bombs an Obdachlose von einer Neonazigruppe in St. Petersburg erstochen.
Dass ein solches Level der Gewalt überhaupt möglich ist, liegt auch an der steten Verharmlosung ihrer Verbrechen durch die Behörden. Denn wenn die Täter ausnahmsweise einmal ausgeforscht werden, lassen die Versuche nicht lange auf sich warten, ihre Taten zu entpolitisieren. So wurde der Mord an Timur vom Gericht schnell unter die Kategorie "Hooliganismus" eingereiht, also eine Art Bandenkrieg ohne politischen Hintergrund. Dies, obwohl die Täter nicht nur ganz eindeutig aus der Neonaziszene stammen und gemeinsam noch weitere Attacken zu verantworten haben, sondern es sich bei der Tat offenbar um einen ganz gezielten Mord gehandelt hat.
Ähnlich der Fall des Moskauer Antifaschisten Alexander Ryukhin: Er wurde im April 2006 von sechs Neonazis erstochen. Drei der Täter wurden mittlerweile verhaftet, zwei davon sind Mitglieder der rechtsextremen "Slawischen Union", einer ist bei der Nazigruppe "Format 18" aktiv, die sich an der englischen Naziterrorgruppe "Combat 18" orientiert. Und auch hier heißt es wieder: "Hooliganismus". Ein - härter zu bestrafendes - Hassverbrechen wollen die Behörden hingegen nicht erkennen können. Solche verharmlosenden Signale der Behörden, in Kombination damit, dass viele Nazi-TäterInnen gleich gar nicht ausgeforscht werden, befördern natürlich eine weitere Radikalisierung: So kam es im Dezember 2006 zu einem versuchten Bombenanschlag auf das Haus eines weiteren Moskauer Antifaschisten.
Im Gegenzug werden diejenigen, die aktiv gegen diese rechtsextremen Umtriebe auftreten, zunehmend kriminalisiert: Die russische Duma hat im Juni 2006 ein Anti-Extremismusgesetz verabschiedet, das zunehmend auch gegen AntifaschistInnen und andere RegierungsgegnerInnen angewendet wird. Nach der offiziellen Lesart wurde das Gesetz ins Leben gerufen, um der antisemitischen und rassistischen Gewalt einen Riegel vorzuschieben. Die Realität sieht allerdings vollkommen anders aus: Das Gesetz ist so formuliert, dass es vor allem dazu dient, der Exekutive mehr Mittel in die Hand zu geben, um gegen unliebsame Demonstrationen und regierungskritische AktivistInnen vorzugehen. So könnte im konkreten Fall schon die Durchführung einer unangemeldeten Demonstration zur Anwendung des Extremismusparagraphen auf eine organisierende Gruppe führen. Öffentliche Kritik an "hohen Staatsdienern" kann schon Repressialien nach sich ziehen. Alles in Allem also eine Art Blankoscheck für repressive Maßnahmen der Behörden gegen unliebsame KritikerInnen.
Welches Klima dies mittlerweile in Teilen Russlands erzeugt hat, demonstriert ein anderes Beispiel: Unlängst erteilte die staatlichen medizinische I. M. Setschenow-Akademie in Moskau Hunderten ihrer StudentInnen - allesamt "nicht-russischer" Herkunft - Ausgangsverbot. Die offizielle Begründung: Eine Feuerübung. In Wirklichkeit hat das Ganze ein weit bedrückenderen Hintergrund: Russische Neonazis machen rund um den 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, gezielt Jagd auf AusländerInnen, wie der zuständige Dekan auf Nachfrage eingestand.
Ein solches Level von rassistischer Gewalt, ein solches Klima der Angst ist erst durch eine Mischung aus Zustimmung und Gleichgültigkeit aus weiten Teilen der Gesellschaft möglich, allen voran natürlich der Behörden. Dazu passt, dass MigrantInnen und Menschen mit "nicht-slawischem" Aussehen von der Polizei durch repressive Meldepflichtregelungen, ständige Ausweiskontrollen sowie daran gebundene Geldzahlungen systematisch schikaniert und erpresst werden.
So "ernst" nimmt man es mit dem Vorgehen gegen rassistische MörderInnen: Im Jahr 2004 wurde eine tadschikische Familie von einer Gruppe rechtsextremer Jugendlicher mit Knüppeln und Messern überfallen, die neunjährige Churscheda Sultonowa wurde dabei von den Schlägern unter Rufen wie "Russland den Russen" ermordet. Nachdem die Geschichte internationale Schlagzeilen gemacht hatte, verkündete die ansässige Gouverneurin, dass man an den Angreifern "ein Exempel statuieren werde", um ein klares Signal gegen Rassismus auszusenden. Auch hier sah die Realität dann natürlich vollkommen anders aus: Zwar wurden die Täter ausgeforscht, nur einer davon wurde aber überhaupt wegen eines rassistischen Mordes angeklagt. Und auch dieser kam schließlich mit der obligatorischen Hooliganismus-Verurteilung davon, ein rassistisches Tatmotiv wollte das Gericht ausdrücklich nicht erkannt haben.
Auch andere Gesellschaftsgruppen werden vermehrt zum Ziel, vor allem, wenn sie es "wagen", offen für ihre Rechte einzutreten. Etwa die LesBiSchwule Community, die im Jahr 2006 erstmals versuchte, eine Gay-Pride-Parade zu veranstalten. Das Resultat: Die AktivistInnen wurden von einer Horde Nazi-Skins und homophoben NormalbürgerInnen attackiert. Die Polizei half dem "Volkszorn" dabei auf ihre ganz eigene Weise zum Durchbruch: Die DemonstrantInnen wurden aktiv an einem Rückzug gehindert und so den SchlägerInnen ausgeliefert. Zuvor hatte schon der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow keinen Hehl aus seiner Gesinnung gemacht: Eine Schwulenparade in welcher Form auch immer werde man nicht tolerieren, so der Stadtoberste unmissverständlich. Auch die Moscow Pride 2007 wurde untersagt. Als AktivistInnen eine Resolution gegen das Verbot der Parade im Rathaus überbringen wollten, wurden sie von homophoben BürgerInnen vor den Augen der Polizei niedergeschlagen. Die Polizei reagierte mit der Verhaftung der AktivistInnen und ließ die SchlägerInnen unbehelligt davon ziehen. Die Angriffe auf die Moscow Pride 2007 sind ein Symptom für eine um sich greifende Homophobie und einen generellen Rückschlag für die Menschenrechte in Russland.
Im Juli 2007 wurde ein Anti-Atom Camp in Angarsk, Sibirien von Neo-Nazi-Skinheads überfallen: Die ca. 20 CamperInnen wurden von etwa 15 Neonazis in der Nacht mit Eisenstangen, Messern und Luftdruckgewehren angegriffen. Acht AktivistInnen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden, der 21-jährige Antifaschist Ilya Borodaenko starb im Krankenhaus an den Folgen einer schweren Kopfverletzung. Bereits zwei Tage später wurden nach einer Kundgebung im Gedenken an Ilya erneut AktivistInnen attackiert.
Die Situation für Menschen, die sich abseits des Mainstreams bewegen, wird immer schwerer und gefährlicher. Solidarität ist Pflicht! Geld ist nicht alles, aber es kann den AktivistInnen helfen, Flugblätter zu produzieren, Kampagnen zu machen und AnwältInnen zu bezahlen.