Wer am 8. Mai nicht feiert...
Flugblatt zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus.
Am 8. Mai 1945 wurde die deutsche Wehrmacht von den Alliierten zerschlagen und kapitulierte bedingungslos. Dieser Tag ist der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Es war eine Befreiung für jene die die Konzentrationslager nicht überlebt hätten, jene die verfolgt wurden, jene die sich bis zuletzt versteckt halten mussten, jene die desertierten und jene die bis zum Ende des Naziterrors Widerstand leisteten. Ein Tag an dem die Befreiung gefeiert wird und gleichzeitig der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Ein Gedenken an die in Konzentrationslagern ermordeten Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Homosexuelle und alle anderen systematisch Verfolgten.
Doch nicht alle betrachten den 8. Mai als Tag der Befreiung. Dass die Täter_innen diesen nicht als Befreiung empfanden liegt auf der Hand. Zumindest damals hatten sie allen Grund, sich vor ihrer Verantwortung zu fürchten. Doch in den meisten Fällen kam es nicht soweit, die Entnazifizierung wurde bald beendet, viele Täter_innen und Mitläufer_innen kamen unbehelligt davon. Alt-Nazis machten Karriere und bekleideten hohe Positionen in den Universitäten, Gerichten und in der Wirtschaft. Nicht wenige besetzten wieder politische Ämter und behördliche Funktionen, denn ALLE Parteien rissen sich um die Stimmen der ehemaligen Nazis. So fanden sich im Kabinett Kreisky noch drei ehemalige NSDAP-Mitglieder und die Vorgänger_innen-Partei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), war ohnehin Sammelbecken derer, denen Jörg Haider Jahrzehnte später einmal eine "ordentliche Gesinnung" attestieren sollte.
Volk und Nation
Die Alliierten mussten nach der Befreiung feststellen, dass von Reue keine Spur war. Die unfassbaren Opferzahlen selbst interessierten hier keine_n. Um einer offenen Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld an der direkten und aktiven Beteiligung an der Shoa zu entgehen, wurde ein "Entschuldungsmythos" geschaffen, welcher Österreich einfach zum "ersten Opfer des Nationalsozialismus" erklärt. Zwecks "Wiederaufbau" wurde rasch die deutsche durch die österreichische "Volksgemeinschaft" ersetzt, beim vielen Zupacken wollte sich ohnehin keine_r mehr mit der gerade verflossenen Nazizeit beschäftigen. Die Befreier_innen wurden schnell zu Besatzer_innen umgedichtet, so schrieb die Presse 1954 anlässlich der Befreiung Wiens: " (...) das wahre Österreich aber wird Fahnen an dem Tag entfalten, an dem die fremden Truppen unser Land verlassen. Denn das erst wird der Tag der Befreiung sein!"
Freiheit bezieht sich hierzulande also meist nicht auf die Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern auf den Abzug der Alliierten - und diese Denkweise spiegelt sich sogar im Kalender wieder. Immerhin feiern am 26. Oktober zigtausende jährlich am Heldenplatz - den Tag nachdem "der letzte alliierte Soldat österreichischen Boden verlassen hatte."- mit Panzern & Gulaschkanonen & Fahnenmeer und all der verschissenen, österreichischen Identität - Ausblendung der Involvierung der österreichischen Bevölkerung in das NS-System inklusive. Der 8. Mai hingegen, der die eigentliche Befreiung vom Nazi-Terror brachte, scheint es bislang keiner Regierung Wert gewesen zu sein, ihn auch symbolträchtig zum Feiertag zu machen.
Die "totale Niederlage"
Natürlich haben also Alt- und Neonazis und jene, die auch noch gerne mit der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus liebäugeln, völkisch-nationalen Konstrukten anhängen oder schlicht von der "guten alten Zeit" träumen, am 8. Mai nichts zu feiern. Sie betrauern stattdessen ihre "Kriegshelden", schwafeln - im Einklang mit dem nationalen Konsens - von den "bösen Alliierten", glorifizieren ein Bild von "Trümmerfrauen", reden vom "deutschem Volk" und lassen ihrem Antisemitismus freien Lauf.
Traditionellerweise marschieren Burschenschafter und andere deutschnationale Verbände am 8. Mai gemeinsam auf um der Niederlage des "Vaterlandes und seiner Verstorbenen", die für "völkische Ideale" ihr "Leben gaben", zu gedenken und eine Kranzniederlage zu begehen. Mit dabei sind immer wieder nicht nur FPÖ Funktionär_innen sondern natürlich auch bekannte (Neo-)Nazi-Kader, wie z.B. beim "Totengedenken" 2004 wo unter anderem Gottfried Küssel andächtig der Rede von FPÖ-Chef Strache lauschte. Die Verschränktheit der hiesigen (Neo)Nazi Szene mit rechtsextremen Burschenschaftern und der FPÖ wird aber nicht nur am 8. Mai deutlich, auch beim alljährlichen Auflauf am Grab von Naziflieger Walter Nowotny treffen sich "Kameraden" unterschiedlichster Couleur.
Aber das ist nicht im Geringsten verwunderlich - denn deutschnationale Burschenschaften waren und sind ein Rekrutierungspool und Auffangbecken für (Neo-)Nazis und stellen somit die Scharnierfunktion zwischen der parlamentarischen Rechten und dem Neonazismus dar.
Aufopferung fürs (deutsche) Vaterland
Am 8. Mai trauern die Burschenschafter und (Neo)Nazis jenen Männern, die sich für Nazi-Deutschland aufgeopfert haben. Diese stehen für ein deutschnationales Männlichkeitsbild, bei dem Aufopferung fürs (deutsche) Vaterland an erster Stelle steht und das sich auch in den völkisch-deutschnationalen Burschenschaften widerfindet. Durch burschenschaftliche Befehlsstruktur und deren Praxen von Unterwerfung wird ein spezifisch autoritärer Männlichkeitstyp ausgebildet. Burschenschaften vertreten ein strikt heteronormatives Geschlechtermodell, welches Frauen* auf ihre traditionellen Bereiche verweist und Identitäten außerhalb dieses Schemas verneint. Die Mensur als Militarisierungsritus, von dem Frauen* und Juden explizit ausgeschlossen sind, leitet sich aus diesem deutschnationalen Männlichkeitsbild ab. Durch sie entstehen Seilschaften, die Männern* zu gesellschaftlich relevanten Positionen verhelfen, während Frauen* von diesen strukturell ausgeschlossen werden.
Wie die Burschenschafter sind auch diese Rollenbilder in der FPÖ stark verankert: Sie steht (gemeinsam mit der ÖVP) für eine frauenfeindliche und antifeministische Politik und wirbt permanent für "Heim-Herd-Mutterkreuz-Politik", hetzt gegen "Gender-Wahn", und ist immer ganz vorne mit dabei, wenn es um patriarchale "Männerrechte" geht.
Zu kurz gegriffen...
...wäre es am 8. Mai nur gegen FPÖ und (Neo-)Nazis auf die Straße zu gehen und dabei auszublenden wie stark Antisemitismus in der Mainstream-Gesellschaft verankert ist. Getragen eben von jenem Nationalismus, der sich speziell auf den "Österreich ist Opfer" Mythos stützt. Der alltägliche Antisemitismus, rassistische Hetze, (hetero)sexistische Stereotypen, Nationalismus und Patriotismus gehören in Österreich zum durchschnittlichen Alltag, sei es am Stammtisch, in den Medien oder im Parlament. Kritische, linke, emanzipatorische Inhalte & Lebensweisen haben es hierzulande nicht einfach, und wer sich organisiert und/oder gegen die HERRschenden Zustände rebelliert, wird zunehmend kriminalisiert: Seien es politische Aktivist_innen, denen die Bildung von kriminellen Organisationen angedichtet wird oder, weitaus prekärer, Bettler_innen und Migrant_innen. Schluss damit! Die herrschenden Zustände bekämpfen!