04/2011

Das ständige Sprechen über Integration

... produziert und reproduziert ein angebliches Anderssein, stellt Teile der Gesellschaft unter Generalverdacht und übersieht die Vielfältigkeit von Lebensentwürfen.

Es gehört zum guten Ton in der öffentlichen Debatte, über Migration und Migrant_innen als Konfliktquelle zu sprechen. Leider nicht nur im Mehrheitsdiskurs sondern auch unter manchen kritischen Gegenstimmen zum Abschiebekonsens finden sich Positionen wieder, die zum Teil stärker an den rassistischen Konsens anknüpfen, als sie das vielleicht wollen.

Was soll die ständige Rede von "Integration"? Und was soll "gut integriert" eigentlich heißen? Auch wenn darauf vermutlich selbst Leute, die diesen Ausdruck verwenden, keine klare Antwort haben, gibt es doch bestimmte Bilder, die damit zusammenhängend vermittelt werden. Und genau diese Bilder möchten wir angreifen.

Identität durch Abgrenzung

"Gut integriert" geht von einer bestimmten Kultur aus, in die mensch sich integrieren sollte. Nur - was soll diese Kultur eigentlich sein? Eine einheitliche "österreichische Kultur" gibt es nicht - und das ist auch gut so. Lebensentwürfe sind vielfältig, dein Lebensentwurf - was dir Spaß macht, wie du deine freie Zeit gestaltest, was du arbeitest, mit wem du befreundet bist oder auch nicht, wie du auf Menschen zugehst, welche Beziehungsform(en) du wählst usw. - hat mit den Lebensentwürfen vieler deiner Nachbar_innen vermutlich nicht viel zu tun und genauso unterscheiden sich deren Lebensformen voneinander.

Die imaginierte und vermeintlich einheitliche österreichische Kultur wird oft mit Begriffen wie liberal, demokratisch, aufgeklärt, fortschrittlich, tolerant und zunehmend auch wieder verstärkt als christlich beschrieben. Das ist aus mehreren Gründe äußerst problematisch:

Erstens wird davon ausgegangen, dass Menschen in verschiedene Gruppen - wahlweise als Nation, Volk, Kultur oder Ethnie bezeichnet - eingeteilt werden können, die in sich homogen sind und sich nach außen hin klar abgrenzen. Migrant_innen werden in naturalisierender Weise einer "Ursprungskultur" zugeteilt; dabei wird als unmöglich angenommen, dieser Zuschreibung entkommen zu können.

Zweitens werden Migrant_innen auf diese Weise oft in die Rolle der "Anderen" gedrängt, also derjenigen, die diese der "eigenen" Gruppe, der Mehrheit zugeschriebenen Werte (oder einige davon) vermeintlich nicht teilen oder zumindest nur nach "gelungener Integration". Dadurch, dass eine oder mehrere Gruppen zum "Anderen" erklärt werden, können die Grenzen dessen, was als "das Eigene" gilt, abgesteckt werden, und Menschen sich über diese Unterschiede als Teil einer Gruppe definieren.

Das schafft eine privilegierte Position für die Mehrheitsgesellschaft. Sie hat die Macht und die Verfügungsgewalt zu bestimmen, was "Integration" bedeutet, wer "integriert" ist und wer nicht und was getan werden muss, um sich zu "integrieren". Sie bestimmt damit auch, wer ausgeschlossen wird und wie mit wem umgegangen wird - und sie kann als "gut integriert" betitelten Menschen diese Zuschreibung auch jederzeit wieder entziehen.

Drittens sind jene Werte - wie liberal, demokratisch usw. - auf die sich so gerne bezogen wird, nur an der Oberfläche vorhanden. Demokratische Werte etwa sind unvereinbar damit, dass ein großer Teil der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. Das betrifft aber zum Beispiel genau jene Menschen, welche die neue Fremdenrechtsnovelle am stärksten treffen wird.

Und starke Worte für Frauenrechte und gegen Geschlechterdiskriminierung finden viele Mehrheitsösterreicher_innen auch nur dann, wenn es darum geht, sich von sogenannten "fremden Kulturen" abzugrenzen, die pauschalisierend als patriarchal hingestellt werden. Dass diese Positionierung mehr mit Rassismus als mit Antisexismus zu tun hat, wird daran erkennbar, dass die Frauen, für die sich vermeintlich eingesetzt wird, in der Regel gar nicht gefragt werden. Sie tauchen in den verschiedenen Debatten kaum als Subjekte auf, sondern werden für rassistische Zwecke instrumentalisiert, wie zum Beispiel bei der Debatte um das Tragen des Kopftuchs zu beobachten ist.

Identität durch Sprache

"Gut integriert" geht davon aus, dass Deutsch die einzige Sprache ist, die sich nicht "Fremdsprache" nennen lassen muss. Doch die Sprachen, die in Österreich gesprochen werden, sind keine Fremdsprachen, sondern genauso wie Deutsch eben die Sprachen, die in Österreich gesprochen werden. Die Realität der Mehrsprachigkeit sollte endlich anerkannt werden.

Die deutsche Sprache wird aber als fester Bestandteil der herbeikonstruierten "österreichischen Kultur" betrachtet. Die Novelle des rassistischen Fremdenrechts will Menschen unter Androhung des Verlusts des Aufenthaltstitels zwingen, noch schneller als bisher Deutsch zu lernen, in für viele Menschen zeitlich unmöglich zu erfüllenden Fristen. Außerdem sind Menschen, die nach Österreich einreisen wollen, in den meisten Fällen gezwungen, schon vor der Einreise deutsch auf A1 Niveau zu lernen, um überhaupt erst die Erstantragsstellung durchführen zu können - ausgenommen sind Angehörige von als "hochqualifiziert" geltenden Personen. Gleichzeitig werden aber Forderungen von Migrant_innen nach Deutschkursen gekonnt überhört, genauso wie der in der Debatte immer wieder auftauchende Vorschlag, bei Kindern die Erstsprache bzw. die Sprache der Eltern zu fördern um auch das Erlernen von Deutsch zu erleichtern.

Die erwähnten Regelungen im Fremdenrecht sind klar abzulehnen und es ist erfreulich, dass sich viele NGOs diesen neuen Hürden entgegenstellen. Doch der rassistische Grundkonsens, der fordert, dass alle Leute, die in Österreich wohnen wollen, Deutsch lernen müssen (Betonung auf müssen!), findet sich auch in der gegenüber Abschiebungen kritischen Öffentlichkeit wieder. Häufig ist die Rede davon, dass (nur) "gut integrierten", bedeutet auch gut Deutsch sprechenden Menschen die Möglichkeit gegeben werden soll, zu bleiben. Diese Forderung schließt aber gleichzeitig nicht gut Deutsch sprechende oder als nicht "gut integriert" geltende Menschen per se vom Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht aus und kommt damit rassistischen Gesetzgebungen entgegen.

Kriminalisierung und "Unbescholtenheit"

Ein anderes Kriterium, dem in manchen Teilen der Anti-Abschiebungsbewegung große Bedeutung zugemessen wird, ist die sogenannte Unbescholtenheit. "Unbescholtenheit" gilt als Vorraussetzung für "gut integriert-Sein" und als Argument dafür, sich einen Aufenthaltstitel "verdient" zu haben. Doch was heißt das im Umkehrschluss für Menschen, die in irgendeiner Art und Weise das Gesetz überschritten haben?

Sogenannte Kriminalität ist offenbar Grund genug, um Menschen grundlegende Rechte, wie das Recht auf die freie Wahl des Wohnsitzes, zu verwehren. Denn genau das bewirkt das ständige das Betonen der Unbescholtenheit: Entsolidarisierung mit denen, die nicht in dieses Schema passen. Der Grad der (Ent-)Solidarisierung ist hier unterschiedlich hoch: So gibt es etwa Kritik an der geplanten Verschärfung im Fremdenrecht, welche bereits Verwaltungsübertretungen zum Grund für Abschiebungen und Wieder-Einreiseverbote machen will.

Wir möchten auf keinen Fall den vollkommen jenseitigen Einfall, dass Leuten aufgrund von Verwaltungsübertretungen ihre Existenz zerstört werden soll, relativieren. Wir wünschen uns aber, dass diese Kritik weiter geht - dass nämlich überhaupt keine Gesetzesübertretung (und noch weiter gedacht, gar nichts) Verweigerung oder Entzug grundlegender Rechte legitimiert. Wir wollen keine Einteilung in "Kriminelle" und "gut Integrierte", wir wollen, dass alle Menschen unabhängig von solchen Zuschreibungen dort leben können, wo sie wollen. Bleibefreiheit darf nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft sein, sondern muss von allem anderen klar getrennt werden.

Für bedingungslose Bewegungs- und Bleibefreiheit!

Statt selektiver Solidarität mit nur manchen Menschen fordern wir ein grundsätzliches Umdenken und Brechen mit dem rassistischen Konsens. Alle Menschen sollten selbst entscheiden können, wo sie leben möchten - dass nur ganz wenige privilegierte Personen diese Möglichkeit haben, ist klar rassistisch. Was gibt einem_einer österreichischen Staatsbürger_in im Gegensatz zu allen anderen Menschen das bedingungslose Recht, hier zu leben - das Privileg, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort von bestimmten Eltern geboren worden zu sein?

Migration findet statt. Sie ist eine Selbstverständlichkeit in allen Lebensbereichen und fixer Bestandteil unserer Welt. Das Problem sind jene Politiken, die Armut und Rassismus produzieren.

Wir wollen eine Welt ohne Grenzen, eine Welt ohne Ausschlüsse, eine Welt, in der alle Menschen sich frei bewegen können wie und wo sie wollen!

 

Dieser Text ist Teil des Readers "another brick in the racist wall...", der im Zuge der Proteste gegen die Fremdenrechtsnovelle 2011 von einigen Antirassist_innen produziert wurde.