04/2011

Neues Ausschaffungszentrum in Wien

In der Zinnergasse in Wien Simmering befindet sich seit einigen Monaten ein Abschiebezentrum für Familien mit Kindern bzw. besonders schutzsuchenden Menschen.

Mehr als tausend Menschen wurden im letzten Jahr alleine aus Wien abgeschoben. In der Regel gehen die Deportationen unbemerkt über die Bühne. Es ist eine traurige, beschämende Realität, dass diese Praxis von der österreichischen Mehrheitsbevölkerung begrüßt, oder stillschweigend akzeptiert wird. Dagegen Stellung bezogen und Widerstand geleistet wird nur von Wenigen.

Dennoch gelingt es von Zeit zu Zeit, das Thema anhand von Einzelfälle über den Umweg der Massenmedien an eine breite Öffentlichkeit zu tragen. So war dies auch im Oktober 2010 der Fall, als sich eine folgenreiche Abschiebung ereignete. Nachdem zwei kosovarische Mädchen und ihr Vater in aller Früh von der Fremdenpolizei aus dem "Freunde Schützen Haus" - einem Ort, in dem Menschen leben, die kurz vor der Ausschaffung stehen - in ein Polizeianhaltezentrum gebracht und bald darauf deportiert wurden, regte sich massiver Protest. In Wien kam es zu einer spontanen Demonstration mit 400 TeilnehmerInnen und durch die heftige Kritik von unterschiedlichsten Seiten hatten die Systemmedien bald ihre Schlagzeile und den Aufhänger der "Geschichte der Komani-Zwillinge". In der Folge kam es zu einer Demo mit etwa tausend SchülerInnen in Wien am Ballhausplatz. In Steyr, einer oberösterreichischen Kleinstadt, in der die Familie seit mehr als fünf Jahren lebte, kam es zu einem Fakelzug mit wiederum fast tausend Menschen. Zusätzlich wurde eine Online-Petition ins Leben gerufen, die während des letzten halben Jahres bereits von 115.000 Menschen unterzeichnet wurde.

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, warum gerade die "Komani-Zwillinge", konkret die Abschiebung von Kindern, eine öffentliche Debatte in dieser Größenordnung entfesselt hatte, denn es sollte nicht vergessen werden, dass hinter jeder Ausschaffung ein tragisches Einzelschicksal zu finden ist. Auf komplexe Fragen wie diese einfache Antworten zu suchen ist schwierig, eher nicht möglich, obwohl sich dennoch einige wesentliche Faktoren beobachten und festmachen lassen. Es kann mit Sicherheit davon ausgeganen werden, dass durch die Abschiebung der Familie Zogaj und die dabei geschlagenen großen Wellen eine gewisse Sensibilisierung in der Öffentlichkeit besteht. Ebenso wie auch die Zogajs werden die Komanis als gut integriert angesehen, was hierzulande besonders wichtig ist. Vor allem aber dürften zwei Punkte den zentralen Ausschlag gegeben haben. Einerseits spielt im katholisch geprägten humanistischen Weltbild der österreichischen Mehrheitsgesellschaft das Idealbild der "Familie" eine wesentliche Rolle. Im Fall der "Komani-Zwillinge" befand sich die Mutter der beiden Mädchen aufgrund einer schweren Krankheit im Spital, wodurch sie von der Abschiebung verschont geblieben ist. Somit kam es zu einer "Familienzerschlagung": Die Kinder wurden ohne ihre Mutter deportiert. Andererseits, und vermutlich noch wichtiger war die Tatsache, dass die beiden jungen Mädchen in einem Gefängnis interniert wurden. Obwohl es an einer generellen Hinterfragung des Gefängnissystems sowie einer Antipathie gegen Zwangsanstalten fehlt, war es dennoch für viele anstößig, Kinder hinter Gittern zu sehen. Dies zeigt sich auch an der zuvor erwähnten Petition, die unter dem Slogan "Kinder gehören nicht ins Gefängnis" lauft.

Welche weiteren Gründe auch immer eine Rolle gespielt haben, festzuhalten bleibt, dass ein öffentlicher Aufschrei wie dieser die Technokraten und OrganisatorInnen der Deportationen im Innenministerium eine Reihe von Problemen vor Augen geführt hatte, die es in ihrem Sinne rasch zu lösen galt.

Der erste Schritt liegt auf der Hand: Im konkreten Anlassfall die aufgebrachten Massen ruhig zu stellen. Dies wurde auf folgende Weise erreicht. Massenmedial tauglich wurde der Chef der Wiener Fremdenpolizei, Stefan Stortecky, abgesetzt und als propagandistisch idealer Schachzug vom Innenministerium selbst der Abschiebebescheid des Magistrats Steyr aufgehoben. Die Komanis sind mit einer Aufenthaltsgenehmigung nach Österreich zurückgeholt worden, wodurch die freudig-euphorischen Schlagzeilen sowie die Befriedigung der Massen sichergestellt waren.

Nun galt es, sich dem eigentlichen Problem anzunehmen: Wie denn in Zukunft breiter Widerstand und unangenehme Zwischenfälle wie jener bei den Komanis verhindert werden könne. Den Verantwortlichen muss nach ihrer jahrzehntelangen Deportationserfahrung klar gewesen sein, dass ihnen normalerweise beinahe alle Handlungsspielräume offen stehen, die bis zur Ermordung von Menschen reichen, ohne die Massen auf den Straßen zu haben - bei Abschiebungen von Kindern jedoch Vorsicht geboten sein sollte. Auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems wurde dann rasch ein neues Konzept präsentiert: "Familienunterkunft Zinnergasse".
Obwohl für kritische BeobachterInnen der pure Zynismus glasklar ist, mit dem innerhalb von kurzer Zeit ein neues Gefängnis geschaffen wurde, muss dennoch festgehalten werden, dass die "Familienunterkunft Zinnergasse" im Sinne des Innenministeriums eine taktisch perfekte Strategie ist. Die Kritik an dem Projekt ist bis dato sehr gering, und die Probleme die die Abschiebung der Familie Komanis aufgezeigt hat, anscheinend massentauglich gelöst.

Der Tarnname "Familienunterkunft Zinnergasse" steht für das neue Anhaltzentrum in Wien Simmerung, das in dem ehemaligen "Kardinal König Flüchtlingshaus" errichtet wurde. Neben der Vorgeschichte des Gebäudes zeigt alleine schon die Wahl des Standortes von ausgesprochener Geschmackslosigkeit und spricht Bände. Das neue Gefängnis befindet sich mitten in einem Wohngebiet von anerkannten Flüchtlingen, direkt neben einem Integrationskindergarten, auf direktem Weg zum Flughafen. Nicht einmal zwei Monate haben die Umbauarbeiten gedauert, um 12 sogenannte Wohneinheiten zur Verfügung zu haben, in denen Ende des Jahres die ersten Familien interniert wurden. Es ist erschreckend, mit welcher Selbstgefälligkeit die Verantwortlichen vom Innenministerium das Projekt verkaufen. So zeigt sich etwa Josef Zinsberger, der Leiter der Abteilung für fremdenpolizeiliche Maßnahmen und Anhaltevollzug in Wien, ausgesprochen zufrieden mit der neuen Einrichtung. Er spricht von einem garantierten Familienleben "ohne Gefühl der Überwachung". Die Rede ist immer vom grünen Garten, dem Spielplatz, der freien Bewegung innerhalb des Gebäudes und der zum wohl Fühlen einladenden Inneneinrichtung. Nicht erwähnt wird, dass Familien hier höchstens die letzten 48 Stunden verbringen, bevor sie ihre Deportation ins ungewisse Antreten.

Seit Anfang April steht das Gebäude leer. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden hinter den Mauern 78 Menschen die Freiheit geraubt. Im Moment sind Umbauarbeiten für 16 zusätzliche Wohneinheiten am Laufen. Diese entstehen im Erdgeschoß sowie im 1. Stockwerk. In den beiden Etagen darüber befinden sich die 12 Wohneinheiten für die zur Abschiebung bestimmten Familien. Die neuen WG's sind für Menschen gedacht, auf die das "gelinde Mittel" angewandt wird ? also für jene, die nicht in Schubhaft kommen, sondern sich frei bewegen können.

Bis zum Inkrafttreten der neuen Fremdengesetze in Österreich am 1. Juli 2011 soll alles fertig sein.

 

Dieser Text ist Teil des Readers "another brick in the racist wall...", der im Zuge der Proteste gegen die Fremdenrechtsnovelle 2011 von einigen Antirassist_innen produziert wurde.