Rassismus? Ein paar Gedanken zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011
Dieser Artikel fragt, warum in Aufrufen gegen die Gesetzes- novelle Rassismus nicht kritisiert wird und hält fest: "Wir müssen die Utopien einer grenzenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung immer wieder aufs Neue formulieren."
Fast jedes Jahr erfahren wir von neuen Gesetzen und Novellen im Bereich des Fremden- und Asylrechts. Geändert und an EU-Richtlinien angepasst wurden bzw. werden das Fremdenpolizeigesetz (vor 2006 Fremdengesetz), das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), das AusländerInnenbeschäftigungsgesetz (AuslBG), das Asylgesetz (AsylG), das Grundversorgungsgesetz, das Meldegesetz, das StaatsbürgerInnengesetz, ... Dazu kommen noch jede Menge Verordnungen und Gesetze auf Landesebene, wie die diversen Bettelverbote, bei denen sich die PolitikerInnen in einem Wettkampf zu üben scheinen: Wer schafft es, noch offener faschistische Verordnungen zu erlassen? Ja, ihr lest wohl und recht: Ich rede hier von offenem Faschismus. Und meine das auch so, ohne verharmlosen zu wollen. Und will erinnern, was einmal ein antifaschistischer Grundsatz war: Wehret den Anfängen!
Ich kann nicht mehr sagen, wann ich mir zum ersten mal dachte, jetzt ist es einfach zu viel, wenn die solche Bestimmungen tatsächlich zum Gesetz machen oder gar in der Verfassung verankern - dann ist es entweder Zeit, die Koffer zu packen (viele sagten dies nach den Nationalratswahlen 1999, die eine angebliche politische Wende bedeuteten), oder es ist Zeit, endlich aufzustehen und klar zu sagen: Nein, so geht das nicht weiter. Es reicht. No Pasaran!
Doch kam bald die Ernüchterung. Irgendwie schafft es die Mehrheit immer, wenn sie nicht ohnehin voll dahinter steht, sich damit abzufinden. Ab und zu mal Emotionen zeigen, ab und zu mal etwas Druck ablassen. Und dann wieder zum Alltag zurück kehren, so als sei das alles nicht passiert. Und kurze Zeit später: Der nächste Hammer!
Ich erinnere mich noch an die Zeit unter schwarz/blau, als sich die widerständige Bewegung den Antirassismus auf die Fahnen geschrieben hatte. Da waren auch viele SozialdemokratInnen dabei, die in ihrer Partei eine antirassistische Kraft erkannten. Ihnen kann unterstellt werden, dass sie kurzsichtig waren - vor allem was den Blick in die Vergangenheit betrifft. Da mein ich jetzt aber nicht die Naziherrschaft, die 1945 zumindest militärisch beendet wurde, sondern da mein ich die 1990er Jahre, als die SPÖ gemeinsam mit der ÖVP den Boden ebnete, auf denen die angebliche schwarz/blaue Bedrohung sehr gut gedeihen konnte. Doch diese Koalition hatte es schwer, denn immer wieder wurden vor allem die seit damals von der ÖVP gestellten InnenministerInnen kritisiert. Von "unmenschlichen Gesetzen" war die Rede, die mit der Verfassung Österreichs nicht vereinbar seien. Die SPÖ zog damals gemeinsam oder zumindest mit Unterstützung von vielen anderen gegen eine Asylrechtsnovelle vor die Höchstgerichte - und bekam recht. Der Verfassungsgerichtshof erklärte im Oktober 2004 die Asylgesetznovelle aus dem Jahr 2003 (in einzelnen Punkten) für verfassungswidrig. Ein Erfolg? Zumindest vorübergehend gab es bei vielen, die sich gegen Rassismus engagierten Freude über diesen Spruch des VfGH. Doch bald sollte Ernüchterung einkehren. Im Jahr 2005 wurde ein neues Asyl- und Fremdenrechtspaket geschnürt. Ergebnis sind einige Gesetze, die bis heute gültig sind, auch wenn sie mittlerweile mehrmals novelliert (mit anderen Worten: verschärft) wurden. In einer Aussendung habe ich von insgesamt 9 Änderungen des Fremdenrechts seit 1.1.2006 gelesen.
Einerseits wurden bei diesen Gesetzesänderungen EU-Richtlinien umgesetzt, die vor allem laut Angaben von NGOs aus dem Asylbereich teilweise Verbesserungen brachten, doch insgesamt wurde eine Basis geschaffen, die wesentlich rassistischer und ausgrenzender ist, als jene Bestimmungen, die der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2004 aufgehoben hatte. Wer nun dachte, die SPÖ - zu diesem Zeitpunkt immer noch Oppositionspartei - würde erneut gegen diese Gesetzesänderung vor die Höchstgerichte ziehen, wurde spätestens bei der Beschlussfassung im Parlament eines besseren belehrt. Denn die SPÖ stimmte - mit Ausnahme einiger PolitikerInnen, die trotz zuvor geäußerter Kritik just am Tag der Beschlussfassung im Parlament krank wurden oder eine schwache Blase hatten und während der Abstimmung auf dem WC verweilten - dem Gesetz vollinhaltlich zu. Sogar Argumente zur Rechtfertigung wurden gebracht, wie angebliche Verbesserungen für besonders schutzbedürftige Gruppen. All diese angeblichen Verbesserungen sind mittlerweile Geschichte. In mehreren Gesetzesänderungen unter einer wieder von der SPÖ angeführten Regierung wurden die zuvor angepriesenen "Verbesserungen" zum Großteil wieder abgeschafft bzw. durch weitere Restriktionen ersetzt. Und als ob sie dem Wirken der Innenministerin hilflos ausgesetzt wäre, rechtfertigt sich die SPÖ immer wieder mit Verweis auf die aktuellen ÖVP-InnenministerInnen, um danach erneut jede Verschärfung im Einklang mit der ÖVP zu beschließen.
So wird es voraussichtlich auch am 29.4.2011 geschehen. Denn für diesen Tag steht der Beschluss des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 auf der Tagesordnung des Nationalrates. Was sich dadurch alles ändern wird, darüber weiß so gut wie keineR genau bescheid. Denn die zahlreichen Gesetzesänderungen und Novellen der letzten Jahre führten dazu, dass für viele Menschen unterschiedliche Bestimmungen gelten - je nachdem, wie lange sie sich schon in Österreich niedergelassen haben bzw. über welchen Aufenthaltstitel sie verfügen. Von einer selbst für JuristInnen kaum mehr durchschaubaren Gesetzesmaterie wird gesprochen. Kein Wunder, dass die Auflistungen der Kritikpunkte an den Gesetzen nicht sehr aussagekräftig sind.
So ist in den Aufrufen für eine zivilgesellschaftliche Demonstration am 27.4.2011 davon zu lesen, "dass das von der Innenministerin geschnürte FremdenUnrechtspaket zurück an die Absenderin geschickt wird." Als ob die Innenministerin die Gesetze selbst schreiben würde und allein dafür verantwortlich zeichnet. Wie problematisch solche Personifizierungen sind zeigt der Umstand, dass kein Wechsel von MinisterInnen zu keinen grundlegenden Veränderungen führte - zumindest nicht im positiven Sinn. Doch ist es gerade diese Personifizierung, die bei einer breiteren Öffentlichkeit gut anzukommen scheint. Deshalb wird von Novelle zu Novelle ebenso daran festgehalten, wie von MinisterIn zu MinisterIn.
Eine andere Forderung des sich unter dem Slogan "machen wir uns stark" zusammengefundenen Bündnis ist, "dass Menschen, die nach Österreich zugewandert sind, nicht immer neuen bürokratischen Hürden und Schikanen unterworfen werden, sondern die faire Chance auf ein sicheres, gleichberechtigtes Leben bekommen." Wie bitte? Als ob es so was wie "faire Chancen" in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft gibt. Wäre es nicht an der Zeit, erst mal die Voraussetzungen für "ein sicheres, gleichberechtigtes Leben" zu schaffen? Aber das würde vielleicht wieder zu weit gehen, denn wie soll dann mit dem breit verankerten Rassismus in der Gesellschaft umgegangen werden? Da könnte ja argumentiert werden, dass die Forderung nach grundsätzlichen Änderungen zu "destruktiv" sei. Und das wollen die sich stark machenden AufruferInnen zur Demonstration am 27.4. nicht. Sie fordern vielmehr "dass Österreich allen Menschen, die hier leben, ein positives Lebensgefühl bietet" und "endlich eine Politik gemacht wird, die positive Ziele für das Zusammenleben formuliert! Wir fordern ein Ende der destruktiven Politik!"
Ich frage mich, ob die Rede von einer "destruktiven Politik" nicht etwas fehl am Platz ist. Denn dies lässt die Ziele und Motive, die hinter derartigen Gesetzen liegen, völlig unberücksichtigt. Vielmehr wird einfach nicht beim Namen genannt, was es hier zu kritisieren gilt. Als ob es weder in der Gesellschaft noch in Parlament, Regierung und Behörden Rassismus gibt. Doch es ist ganz klar: Hier handelt es sich um einen weiteren Ausbau von rassistischen Gesetzen. Und das ist systematisch - und nicht auf Österreich beschränkt. Denn die Gesetzesnovelle dient u.a. dazu, die EU-Rückführungsrichtlinie und weitere europarechtliche Vorgaben umzusetzen. Ziel dieser "Harmonisierung der fremdenpolizeilichen Systeme innerhalb der Mitgliedstaaten" ist es - mensch beachte die Wortwahl - "eine Gleichbehandlung aller nicht rechtmäßig aufhältigen Personen im Gebiet der Mitgliedstaaten zu gewährleisten." Unter dem Namen der "Gleichbehandlung" werden Menschen entrechtet, werden die Schubhaft ausgebaut und die Grundlagen für ein noch rigoroseres Internierungssystem geschaffen, werden Existenzen zerstört, werden Menschen kriminalisiert und mit Haftstrafen bedroht, wird die Durchführung von Abschiebungen "effizienter" gemacht, wird ein rechtlicher Rahmen für die Umgehung von Kinderrechten geschaffen, werden die Rechte der Exekutive weiter ausgebaut, um künftig ohne richterlichen Beschluss Menschen unter dem Vorwand einer Durchsuchung in ihren Wohnungen überfallen zu können. All das und vieles mehr dient "der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit".
Dass es sich hier um offenen Rassismus handelt, liegt auf der Hand. Doch kommt das Wort Rassismus im Aufruf Machen wir uns stark. 27. April kein einziges mal vor. Ich frage nur warum? Wenn derartige Aufrufe ernst genommen werden wollen, dann sollten sie zumindest den Rassismus beim Namen nennen und kritisieren. Wie soll ein rassistisches Gesetz verhindert werden, wenn die Kritik daran schon so zahm ist, dass sie selbst fast als zustimmend rüber kommt und Rassismus und Ausgrenzung nicht grundsätzliches in Frage gestellt werden? Von der faschistoiden Tendenz ganz zu schweigen...
Sicher: Dieses Gesetz sollte verhindert werden! Doch selbst wenn dieses eher unrealistische Unterfangen gelingen sollte: Die nächste Gesetzesänderung wird nicht lange auf sich warten lassen - und wie die jüngere Geschichte zeigt, noch restriktiver sein, als dieses Gesetz. Deshalb ist es an der Zeit, zumindest klar Worte zu finden, die sich nicht hinter irgend welchen Etiketten verstecken. Wenn Organisationen ankündigen, dass sie "bis zum letztmöglichen Tag an dem dieses Unrechtsgesetz verhindert werden kann nicht locker lassen", dann deutet dies einmal mehr darauf hin, dass sie sich früher oder später damit abfinden werden. Warum sagen sie nicht, dass sie nicht locker lassen, bis alle rassistischen Gesetze abgeschafft sind? Weil das zu utopisch klingt? Meine Antwort auf diese Fragen ist kurz:
Wir müssen die Utopien einer grenzenlosen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung immer wieder aufs Neue formulieren. Erst wenn wir selbst davon überzeugt sind, dass eine Welt ohne Rassismus möglich ist, kann diese Utopie Realität werden!
Artikel übernommen von at.indymedia.org, 30. Mar 2011.
Dieser Text ist Teil des Readers "another brick in the racist wall...", der im Zuge der Proteste gegen die Fremdenrechtsnovelle 2011 von einigen Antirassist_innen produziert wurde.